Fragmentpüffe
Als ich kürzlich in Nietzsches Nachgelassene Fragmente 1882-1884 las, stieß ich auf folgenden Satz: »So ist Verstehen ursprünglich eine Leidempfindung und Anerkennen einer fremden Macht. Schnell, leicht verstehen wird aber sehr rathsam (um möglichst wenig Püffe zu bekommen)«.
Püffe? Natürlich dachte ich sofort an Knüffe, an kleine Hiebe in die Seite. Aber Püffe? Eine Internet-Recherche konnte glücklicherweise viel Licht ins Dunkel bringen:
Offensichtlich kann zunächst zwischen zwei »Haupt-Püffen« unterschieden werden: dem »Knuff-Puff« (also dem Puff im engeren bzw. im oben schon vermuteten Sinne) und dem »Puff-Puff«, also dem klassischen und in dieser Bedeutung oftmals pejorativ verwendeten »Bordell-Puff«. Beim ersten handelt es sich um einen leichten, harmlosen Schlag; letzterer wird als »Gebäude, in dem (meist) Frauen sexuelle Dienstleistungen anbieten« verstanden. Dabei ist die unterschiedliche Bildung des Plurals zu beachten: der Knuff-Puff wird entweder mit einfacher e-Endung markiert (»Puffe«) oder aber – wie Nietzsche dies tut – per Umlaut gebildet: »Püffe«. Der Bordell-Puff-Plural lautet hingegen »Puffs«. Interessanterweise gehen beide Puffe/Püffe/Puffs auf Onomatopoesie zurück: der Knuff-Puff leitet sich »aus dem Geräusch, welches ein Stoß verursacht« her, der Bordell-Puff »stammt vermutlich vom Geräusch des Würfelfallens.« Würfelfallen? Ja, denn hier tritt ein dritter Puff zutage: »ein Brettspiel, welches heute unter den Namen Tricktrack bekannt ist, aus dem sich Backgammon entwickelte«! (Dieser Puff besitzt übrigens keinen Plural.) Nun zurück zum Bordell-Puff: »Aus Wendungen wie ›mit einer Dame Puff spielen‹ oder ›zum Puff(spiel) gehen‹ entstand im 18. Jahrhundert die Bezeichnung für das Freudenhaus«.
Doch nicht genug der Püffe! Der Begriff fand zudem Einzug in die Biologie, wo er die »Anschwellung eines Abschnittes eines Chromosoms« bezeichnet (und zwar mit s-Plural). »Solche Regionen bezeichnet man als Puff, besonders große Puffs bezeichnet man als Balbiani-Ring, nach ihrem Entdecker Édouard-Gérard Balbiani (1823-1899).« Die wenigsten wissen wahrscheinlich, daß der »Nucleolus […] strukturell einem besonders großen Puff« entspricht, der zugleich auch ein »spezieller Puff« ist. Letztlich findet man in fast jedem Haushalt einen Puff, nämlich einen sog. »Wäschepuff«, was ein »niedriger beinloser Hocker, der verschmutzte Wäsche aufnehmen kann«, ist.
Nietzsches Fragmente erweisen sich so als »Wörterpuffs« der Etymologie, als »Gedankenpüffe« philosophischen Nachdenkens! Und wer weiß welch mannigfaltige Verbalentdeckungen man machen kann, würde man »Puff« auch als Affix in Betracht ziehen, wie es beispielsweise in »Auspuff« realisiert ist.