The winter of black and white discontent.
Publish and publish and publish ad infinitum
Zum Jahresbeginn hörte ich zwei Episoden des sehr zu empfehlenden Podcasts Freakonomics Radio über die Betrugskultur innerhalb der akademischen (Parallel-)Welt. Diese Doppelfolge wurde ursprünglich Anfang 2024 veröffentlicht und ist jetzt aktualisiert worden.
Teil 1 (Episode 572): »Warum gibt es so viele Betrügereien im akademischen Bereich? (Update)«
Teil 2 (Episode 573): »Kann akademischer Betrug gestoppt werden? (Update)«
Neben der erstaunlichen Anzahl von 10.000 Forschungsarbeiten, die allein im Jahr 2023 zurückgezogen worden sind, sei nur auf das gigantische Finanzimperium hingewiesen, das aus der wissenschaftlichen Publikationstradition metastasiert ist:
Von Tage- und Datenbüchern
Das Jahr beginnt mit einem persönlichen Export-Prozeß: Mein Journal 2024, das ich mit Day One geführt habe, ergab eine Zip-Datei von 12,62 GB Größe. Wenn das kein Export-Exzeß ist!
Das ebenfalls aus dem Datenmaterial der vergangenen 366 Tage ausgegebene, 892 Seiten starke PDF besteht aus 671 Einträgen, 1835 Photos und rund 97.000 Wörtern. Vor diesem Hintergrund fragt man sich, ob neben den Kämpfen um Wasser, seltene Erden und Energie auch der Kampf um Speicherplatz als das große Konfliktpotential des 21.
Letzte Gedanken, letzte Fragen, höchste Zeit: Zum Jahresende
Ende Oktober 1950 notiert Hans-Robert Jauss (1921-1997) in sein Tagebuch der Doktorarbeit den folgenden ›zeitlosen‹ Fund:
Beim Durchblättern alter Tagebücher aus der Schülerzeit fand ich folgende erste Einträge über das ›Zeitproblem‹: Silvester 1939 … Ist ja an u. für sich Blödsinn, zu feiern, Sylvester ist ein relativer Begriff (kürzlich las ich wir seien eigentlich im Jahre 1946 nach Christus). Die Einteilung in Jahre ist willkürlich. Doch braucht man einen Zeiteinschnitt entweder um zu verhindern, ihn zu übersehen oder um darüber zu trauern wie schnell die Zeit verfliegt.
Hans Blumenberg – Die erbauliche Dokumentation
Hans Blumenberg – Der unsichtbare Philosoph (Screenshot Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, November 2024)
Via Amazon Prime stieß ich auf Christoph Rüters 2018 erschienene Dokumentation Hans Blumenberg – Der unsichtbare Philosoph, die ich selbst in der Münsteraner Kurbelkiste gesehen und über die ich an dieser Stelle berichtet habe – und zwar heute vor genau sechs Jahren.
An dieser Streaming-Option sind mir nun zwei Dinge aufgefallen. Zunächst einmal wird die Dokumentation bei good!movies angeboten, einem Kanal, den man für 3,99 Euro pro Monat zur Amazon Prime-Mitgliedschaft hinzubuchen kann.
All the President’s Books
Am gestrigen hundertsten Geburtstag des von 1977 bis 1981 amtierenden 39. Präsidenten der Vereinigten Staaten, James Earl »Jimmy« Carter Jr., machte die New York Times auf ein biblio-politisches Ungleichgewicht aufmerksam: Carter, der sich seit letztem Jahr in häuslicher Palliativpflege befindet, führt mit 20 Bestsellern einerseits die Liste der produktivsten US-Schriftsteller-Präsidenten an, andererseits haben es nur 16 Bücher über ihn auf die Bestsellerliste geschafft. Zum Vergleich: Gerald Ford, George H. W. Bush und Lyndon B.
Über das Innere des Sauerländers
Das Kapitel »Im Wald« des lesenswerten Essays Sauerland als Lebensform, verfaßt vom 1950 geborenen Sauerländer Ulrich Raulff, beginnt mit den Worten:
Der Sauerländer, hat ein Pathologe gesagt, sei von Natur aus Waldmensch. Er werde im Wald geboren, lebe im Wald und sterbe im Wald. Schneide man ihn auf, finde man ein paar Fichtennadeln. (34)
Fahre ich über den ›Ochsenkopf‹, fahre ich durch den Arnsberger ›Wald‹, so veranlaßt mich mein weitschweifender Blick zu der Annahme, daß ein heutiger Pathologe im Innern des Sauerländers vorwiegend Borkenkäfer finden müßte.
PPA, Teil 2
In den Sieben-Uhr-Nachrichten des Rundfunksenders WDR 3 hörte ich an diesem sonnigen Sonntagmorgen Außergewöhnliches, oder besser gesagt: Außerordentliches:
In Köln beginnt um 11 Uhr die große Parade zum ›Christopher Street Day‹. Rund 60.000 Teilnehmende haben sich für den CSD angemeldet. Das sind ungefähr sechsmal mehr als beim Rosenmontagszug.
Ich fragte mich, wie das möglich sein kann: Wie kann es bereits 60.000 Teilnehmende geben, wenn die Veranstaltung noch gar nicht begonnen hat?
Meine überarbeitete Plugin-Kette für Sprachaufnahmen
Nachdem ich in meinem letzten Blog-Beitrag die Hardware-Komponenten vorgestellt habe, die ich für meine Sprachaufnahmen und Podcast-Sessions verwende, möchte ich nun eine überarbeitete Version meiner Software-Plugins anführen, die die Post-Production-Seite dieses Audio-Prozesses beleuchtet.
Helios Type 69 Preamp and EQ Liest man sich die Beschreibung des »Helios Type 69 Preamp and EQ«-Plugins auf der Universal Audio-Seite durch, empfängt einen die folgende hochtönende Charakteristik:
Die Helios Type 69 Preamp and EQ Collection bietet die gleichen fetten Mitten, das durchsetzungsfähige Brummen [growl] und die unverwechselbare Note, mit denen Hunderte von kultigen Alben von Bob Marley, Led Zeppelin, den Beatles, Jimi Hendrix und vielen anderen produziert wurden.
Meine Hardware für Sprachaufnahmen
Vor zwei Monaten habe ich an dieser Stelle die Plugin-Kette aufgeführt, die ich bei der Postproduction meiner Sprachaufnahmen anwende. Da ich diesen Prozeß inzwischen wesentlich überarbeitet und reduziert habe, kam mir die Idee, nicht nur eine aktualisierte Version zu veröffentlichen, sondern einen Gesamtüberblick über Hard- und Software zu geben, die bei meinen eigenen Audioaufnahmen zum Einsatz kommen. Statt also nur Plugins zu präsentieren, möchte ich zunächst an der eigentlichen Quelle beginnen, sprich: beim Mikrophon, das meine Stimme einfängt, und beim Weg, der zur Plugin-Kette in meiner DAW (Digital Audio Workstation) führt.
Kants Schüler und Kants Richter
Bei Hans Blumenberg finde ich die folgende philosophiehistorische Einschätzung:
Der Berliner Arzt Markus Herz war, nach der Qualität des Briefwechsels mit seinem Lehrer zu urteilen, der bedeutendste Schüler Kants.
Herz starb im Januar 1803, gut ein Jahr vor seinem Lehrer. Ich frage mich, ob es heute, an Kants 300. Geburtstag, noch Kant-Schüler gibt – von bedeutenden oder gar dem bedeutendsten zeitgenössischen einmal abgesehen. Hat uns Kant, 220 Jahre nach seinem Tod, immer noch etwas zu sagen oder beizubringen?
Meine Plugin-Kette für Sprachaufnahmen
Für ein kleines Podcast-Nebenprojekt habe ich – nach vielen Monaten des trial and error – den folgenden Filter-Prozeß erstellt, der das Rohmaterial meiner Audioaufnahmen mit minutiös aufeinander abgestimmten Plugins optimiert.
Plugin-Kette – Sprachaufnahme (Screenshot Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, März 2024)
»GainAim« von NoiseWorks »RX 10 De-click« von iZotope »Sibilance« von Waves »Avalon VT-737 Tube Channel Strip« von Universal Audio »Pro-Q 3« von FabFilter »1176LN Rev E« von Universal Audio »Pultec EQP‑1A« von Universal Audio »Teletronix LA-2A Gray« von Universal Audio »Brainworx bx_limiter True Peak« von Plugin Alliance »Loudness Meter 2« von Youlean Vermutlich ist dies ein klassischer Fall von overkill, aber ich mag den durch diese Plugin-Kette erzeugten Klang – und wenn es gut klingt, ist es gut.
Formaneks Vierjahresplan für Münster
Es war mal wieder soweit: Vier Jahre nach dem letzten, durch die Corona-Pandemie in seinem Event-Charakter reduzierten Schildwechsel, der statt am 2. April 2020 erst im Mai ohne Publikum stattgefunden hatte, wurde Mark Formaneks Datum jetzt am Michaelisplatz in Münster wieder zu einem Happening.
Der Schildwechsel, der am 27. März 2024 um 16:30 Uhr stattfinden sollte, zog bereits gut eine Stunde vor dem Ereignis erste Schaulustige an. (Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, März 2024)
Beinahe ein Newsletter
Vor genau einem Jahr, am 22. Februar 2023, sollte ein Newsletter veröffentlicht werden, den ich mit einem Freund verfaßt habe. Dieser Newsletter verschwand aus verschiedenen Gründen in der digitalen Schublade. Heute möchte ich ihn als ›Newsletter-Versuch‹ auf meinem Blog zugänglich machen, und zwar mit dem eingängigen und trivialen Vers aus Ralph McTells Folksong »Streets of London« (1969) im Hinterkopf: »Yesterday’s paper telling yesterday’s news«.
Facettentektonik [Coole Begrüßungsformel einfügen],
was hat uns in der vergangenen Woche beschäftigt?
My Backup Pages
Yes, my guard stood hard when abstract threats Too noble to neglect Deceived me into thinking I had something to protect — Bob Dylan: »My Back Pages«, 1964
Haben wir nicht alle etwas, wenn nicht gar vieles, zu beschützen? Gibt es nicht für einiges, wenn nicht gar alles, vielerlei Versicherungen? Wir denken bei derartigen Überlegungen häufig an Leib und Leben, Hab und Gut, an physische Größen, die offensichtlich und daher versicherungswürdig sind.
Der Mensch im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit
(Politico-Screenshot von Nico Schulte-Ebbert, Januar 2024)
Politico berichtet:
In Südkalifornien schuf der Tech-Unternehmer Alex Furmansky eine Chatbot-Version der belgischen Prominenten-Psychotherapeutin Esther Perel, indem er ihre Podcasts aus dem Internet sammelte und zusammenschnitt. Er nutzte den Bot, um seinen eigenen Liebeskummer zu therapieren, und dokumentierte seine Reise in einem Blogbeitrag, den ein Freund schließlich an Perel selbst weiterleitete. Perel sprach die Existenz der K.I.-Perel auf der 2023 SXSW-Konferenz an. Wie [Martin] Seligman war sie mehr erstaunt als verärgert über die Replikation ihrer Persönlichkeit.
An Hamanns Grab in Münster
NZZ-Screenshot von Nico Schulte-Ebbert, Januar 2024
Thomas Brose erinnert in seinem Neujahrsbeitrag für die Neue Zürcher Zeitung an den Königsberger Philosophen und Schriftsteller Johann Georg Hamann (1730-1788), dessen christliches Erweckungserlebnis und dessen Tod in Münster.
Im Jahr 1787 gelang es der Fürstin [Amalia von Gallitzin] und ihrem Kreis christlicher, meist katholischer Intellektueller, den bereits erkrankten «Magus» [Hamann] zur Fahrt nach Münster zu bewegen – zu seiner allerletzten Reise. Der leidenschaftliche Lutheraner, dessen Wesen der Fürstin «ganz von der Heiligen Schrift imprägniert» erschien, wurde damit zu einem geistlichen Lehrer, in einer Ökumene der besonderen Art.
Status quo oder: Von Blogbrachen und Blogumbrüchen
Der Status quo von denkkerker.com kann seit dem Sommer mit dem agrarökonomischen Begriff der »Brache« belegt werden. Diverse Nebenprojekte verhinderten ein kontinuierliches Weiterführen des Blogs; das Umbrechen des unbestellten Digitalackers wurde nicht vorgenommen. Doch je näher das Jahresende rückte, desto mehr empfand ich den Drang und die Lust, das Bloggen 2024 mit einer gewissen Seriosität und vor allen Dingen mit Kontinuität wiederaufzunehmen.
Blicke ich zurück auf die etwa 13 Jahre, die dieser Blog nun Bestand hat, kann ich nur wenig Traffic feststellen.
The Beatles: Now, Then And Every Time
If I never ›produce‹ anything more for public consumption than ›silence,‹ so be it. Amen. John Lennon, 1978
Am 13. Juni 2023 sprach Martha Kearney mit Paul McCartney bei BBC Radio 4 Best of Today über dessen Photo-Ausstellung in der National Portrait Gallery in London und den begleitenden, just publizierten Photoband 1964: Eyes of the Storm. Photographs and Reflections.
BBC Radio 4 Best of Today: Paul McCartney & Martha Kearney, Juni 2023 (Screenshot Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.
Angewandte Statistik
In der Financial Times schärft der 1967 geborene US-amerikanischer Science-Fiction-Autor Ted Chiang den Blick auf die Künstliche Intelligenz (KI), indem er sie anders und dadurch präziser bezeichnet:
Anthropomorphe Begriffe wie ›lernen‹, ›verstehen‹, ›wissen‹ und Personalpronomen wie ›ich‹, die KI-Ingenieure und Journalisten auf Chatbots wie ChatGPT projizieren, schaffen eine Illusion. Diese voreilige Kurzschrift [_shorthand_] verleitet uns alle dazu, sagt er, selbst diejenigen, die mit der Funktionsweise dieser Systeme bestens vertraut sind, in KI-Tools einen Funken Gefühl zu sehen, wo es keines gibt.
Wolf Singers Intelligenzen
Im Rahmen der öffentlichen Ringvorlesung des Zentrums für Wissenschaftstheorie der WWU Münster zum Thema Menschenbilder in der Wissenschaft sprach am 11. Mai 2023 von 18 bis 20 Uhr Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolf Singer vom Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung über »Menschenbilder aus den Perspektiven der Selbstwahrnehmung und neurobiologischer Fremdbeschreibung: Der Versuch eines Brückenschlags« im Hörsaal F4 des Münsteraner Fürstenberghauses.
Hörsaal F4 im Fürstenberghaus und Blick auf Dom, St. Lamberti und LWL-Museum (Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.
Carl Schmitts Oasen-Oase
Nach der Lektüre der vor einer Woche publizierten Korrespondenz zwischen dem »historisch orientierte[n] Philosoph[en] Hans Blumenberg« und dem »philosophisch beschlagene[n] Historiker Reinhart Koselleck« (BW Blumenberg/Koselleck, 113) blätterte ich durch die bereits erschienenen drei anderen Blumenberg-Korrespondenzbände und stieß zufällig auf eine interessante Passage eines Briefes, den der Altenberger Eremit am 27. April 1976 an Carl Schmitt gerichtet hat:
Es war, unmittelbar vor dem Beginn des Sommersemesters, die letzte Chance, diesen Brief noch zu schreiben; das entschuldigt seine Flüchtigkeit nicht.
Leser’s Traum
Das literaturwissenschaftliche Kompendium »Arno-Schmidt-Handbuch« ist ein verlässlicher Kompagnon durch Leben und Werk des auratischen Schriftstellers In der Satirezeitschrift »pardon« erschien im Oktober 1973 eine Glosse Peter Knorrs mit dem Titel: »Wer hat sich den bloß einfallen lassen?« Anlass ist der mit 50.000 D-Mark dotierte Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main gewesen, der im Vormonat dem legendenumrankten Schriftsteller Arno Schmidt (1914-1979) verliehen worden war. Knorr stellte zehn hochamüsante Thesen zur Existenz (oder genauer: Nicht-Existenz) »diese[r] seltsamste[n] Figur der deutschen Literaturszene« auf, über die es in der zweiten unmissverständlich heißt: »Es gibt ihn [Arno Schmidt] gar nicht.
Sich (auf) französisch empfehlen
Der Röhrich verrät, daß sich, wer ›sich auf französisch empfiehlt‹, sich heimlich davonmacht, ohne sich zu verabschieden. Wörter machen sich nur selten aus dem Staub derer, die selbst aus ihm erschaffen worden sind. Vielmehr verändert sich das Sprachmaterial im Laufe der Zeit, es paßt sich an und wandert häufig umher, grenzenlos und unbeirrbar.
Eine Überschrift im Figaro erregte vor einigen Tagen meine Aufmerksamkeit: Der Artikel versprach migrantische Wortgeschichte, französisch-deutsche Etymologie, termingerecht veröffentlicht zum sechzigsten Jahrestag des Élysée-Vertrages und versehen mit dem großtönenden Hinweis »auf fünf Wörter zurückzukommen, die Goethes Sprache dem Französischen verdankt«.
1000 Tage
Fitneß-Hinweis per Apple Watch (Screenshots Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Januar 2023)
Man sagt, die ersten tausend Tage seien die schwierigsten.