Mit Liszt und Tücke

Welche Liszt-Biographie malt das bunteste und authentischste Bild des Virtuosen? Für alle Unentschlossenen, die im Jubiläumsjahr in all den Neuerscheinungen den Überblick verloren haben, stellt Michael Stallknecht die wichtigsten vor – und hält sich mit Kritik nicht zurück. Die Liszt-Biographie des Glenn-Gould-Experten Michael Stegemann hebt Stallknecht als gelungen heraus und nennt sie »[d]ie Standardbiographie der kommenden Jahre [...], weil [sie] bei aller Nähe die Fakten klar ordnet und durchdenkt.« Doch versäumt es Stallknecht keinesfalls die brillante, schon vor zwei Jahren erschienene, fast 1000 Seiten starke Liszt-Biographie des französischen Musikwissenschaftlers Serge Gut zu unterschlagen. Für jeden Geschmack (und jeden Anspruch!) dürfte der Liszt-Büchermarkt in diesem Herbst gewappnet sein.


Michael Stallknecht. »Zwischen Trinker und Genie.« Süddeutsche Zeitung, 14. Nov. 2011, https://www.sueddeutsche.de/kultur/liszt-biographien-zum-zwischen-trinker-und-genie-1.1188246

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American Idol

Nietzsche war nie in Amerika, doch Amerika war bei Nietzsche: Er ›vergötterte‹ Emerson, den er seit 1862 in Übersetzung las. Diese Vereinigung, »one of the most significant acts of transatlantic cross-fertilization in Western intellectual history«, ließ Emersons Warnung konkret werden: »Beware when the great God lets loose a thinker on this planet.« Dieser Denker sollte Nietzsche sein, wie Nietzsche selbst mit diesem Denker Schopenhauer identifiziert hatte. Das Buch American Nietzsche: A History of an Icon and His Ideas von Jennifer Ratner-Rosenhagen, das am 6. Dezember erscheinen soll, verspricht, eine interessante Darstellung der Rezeption Nietzsches in den Vereinigten Staaten zu sein.


Ross Posnock. »American Idol: On Nietzsche in America.« The Nation, Nov. 1, 2011, https://www.thenation.com/article/american-idol-nietzsche-america/

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Zettelkasten

Als ich eben das Nachwort zu Hans Blumenbergs Quellen (Hg. Ulrich v. Bülow u. Dorit Krusche. DLA Marbach, 2009) las, mußte ich über folgende Randbemerkung schmunzeln:

Seinen ersten Zettelkasten legte Blumenberg vermutlich bereits Anfang der vierziger Jahre an, in einer Zeit, in der er wegen seiner jüdischen Herkunft Verfolgungen und Benachteiligungen ausgesetzt war. Für diese Datierung spricht nicht nur der Zustand der frühen Karteikarten, sondern auch eine seiner Randbemerkungen in Niklas Luhmanns Erfahrungsbericht ›Kommunikation mit Zettelkästen‹ (in: N. L., ›Universität als Milieu‹, Bielefeld, 1992). Gegen dessen Erklärung, er arbeite seit nunmehr 26 Jahren mit seinem Zettelkasten, setzt Blumenberg 1981 handschriftlich die Zahl ›40!‹. (91)

In den insgesamt 55 Jahren bis zu seinem Tode schuf Blumenberg ein Archiv aus 30.000 Karten! Blumenberg – nein! die Herausgeber seiner Nachlaß-Fragmente sind es, die mehr und mehr zum modernen Quintus Fixlein avancieren, indem sie sein Leben (und Denken!) aus Zettelkästen, aus Schubern und Mappen ziehen. Es bleibt zu hoffen, daß sie im Sinne des so peniblen Philosophen mit Feingefühl, Kommentaren und in historisch-kritischer Manier diese Mammutaufgabe bewältigen.

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