Frankfurter Allgemeine Zeitung
Von temporalen und Identitätsumwidmungen
Am 7. August 2021 um 19:46 Uhr fügte FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube alias »Grammaticus« einen Kommentar unter einen intellektuell anspruchsvollen und ansprechenden Beitrag seines Kölner Feuilletonkorrespondenten Patrick Bahners an, der sich mit einer Widmung Carl Schmitts an Ernst Jünger auseinandersetzt. Kaubes Kommentar, der sich nicht auf den Inhalt des Textes bezieht, ist mit »Apropos Fehler« betitelt und lautet:
»Noch im gleichen Jahr ließ Schmitt drei weitere Bücher folgen.« Was ist ein »gleiches Jahr«? Jahre sind irgendwie alle gleich. Nein, es muss heißen: »im selben Jahr«.
Dieser Fehler wurde im Text nicht korrigiert. Stattdessen findet sich am Ende der ausgreifenden Bahnersschen Überlegungen folgende Redaktionsanmerkung:
Eine frühere Fassung des Artikels ist versehentlich mit einem falschen Bild veröffentlicht worden. Der Bildunterschrift zufolge wäre auf dem Bild »Carl Schmitt, Staatsrechtswissenschaftler, im Jahr 2008« zu sehen gewesen, dabei zeigte es den Historiker Edgar Feuchtwanger, der 2008 ein Buch über den Briefwechsel seines Vaters Ludwig Feuchtwanger mit Carl Schmitt herausgebracht hatte. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.
Fazit: Schmitt, der im Jahre 2008 bereits seit 23 Jahren tot war, ist nicht Feuchtwanger, konnte es auch nicht sein; und ein gleiches Jahr kann nur dasselbe sein. Welch schöne Widmungsoptionen!
Patrick Bahners. »Wer a) sagt, darf auch b) sagen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.08.2021, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/eine-widmung-carl-schmitts-wer-a-sagt-darf-auch-b-sagen-17470147.html?printPagedArticle=true#pageIndex_5.
Corona prae eventum
Ich stoße in Alfred Brendels FAZ-Gastbeitrag über Goethe und die Musik auf den Namen der Sopranistin Corona Schröter (1751-1802), die neben anderen Sängerinnen auf Goethe eine ›unübertreffliche Wirkung‹ ausgeübt haben soll. Daß ihr Name dem heutigen Leser ins Auge springt, liegt in der simplen Tatsache begründet, daß eine Pandemie gleichen Namens ungleich größere Auswirkungen verursacht hat.
»So häuft sie willig jeden Reiz auf sich,
Und selbst dein Name ziert, Corona, dich.«
Alfred Brendel. »Goethe, Musik und Ironie.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.12.2020, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/goethe-musik-und-ironie-ein-gastbeitrag-von-alfred-brendel-17076178.html.
Johann Wolfgang Goethe. »Auf Miedings Tod.« Erstes Weimarer Jahrzehnt 1775-1786. I. Herausgegeben von Hartmut Reinhardt. Hanser, 1987. Genehmigte Taschenbuchausgabe. btb, 2006, pp. 66-72, hier p. 71 [V 171-2]
. Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder, Bd. 2.1.
»And I’m just like that bird«
Sowohl Edo Reents als auch Heinrich Detering stellen in der heutigen F.A.Z. die Oralität des frischgebackenen Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan als ein wichtiges Charakteristikum seines Werkes heraus. So findet man im Text des ersten die Passage: »In gewisser Weise setzt sie [das Nobelpreiskomitee?] die Literatur, die in ihren Anfängen und für lange Zeit ja mündlich war, nun wieder in ihr Recht, indem sie jemanden prämiert, der kaum Bücher vorzulegen hat, der lieber zu seiner lyra singt, also lautlich in Erscheinung tritt.« In Deterings Artikel heißt es: »Es ist die Sehnsucht, aus einer avancierten und hochdifferenzierten Schriftkultur heraus einen neuen Anschluss zu finden an die Ursprünge einer Poesie, in der Wort und Klang, Kunstwerk und Aufführung noch eine ungeschiedene Einheit gewesen waren.« So ist diese Auszeichnung weniger eine progressive oder politische Entscheidung, sondern vielmehr eine Erinnerung an die Wiege der Literatur in der Flüchtigkeit und Eindringlichkeit der Stimme, back to the roots quasi. Paradoxerweise ist Dylan verstummt; bis dato gibt es keinerlei Reaktion seinerseits auf den Nobelpreis. Und gerade deshalb möchte ich, an Mörike angelehnt, den Reents durch den Titel seines Textes eingeführt hat, schließen: ›Dylan, ja du bist’s! / Dich haben wir vernommen!‹
Edo Reents. »Er ist’s!« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Okt. 2016, p. 9.
Heinrich Detering. »Des alten Knaben Wunderhorn.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Okt. 2016, p. 9.
Ein Vehikel zum Filmen
Nach Kirby Dicks und Amy Ziering Kofmans faszinierendem Portrait Derrida (2002) scheint der 1958 in Ägypten geborenen und in Theaterwissenschaft promovierten Safaa Fathy mit Derrida, anderswo (eine Dokumentation, die schon 1999 gedreht wurde, doch erst im März 2012 auf DVD erschienen ist) eine neue Meditationsreise in das Leben und Denken des französischen Philosophen gelungen zu sein. Cord Riechelmann erwähnt in seiner Filmkritik den »äußerst sparsame[n] Einsatz von Musik«, was eher auf eine traditionelle Dokumentation schließen läßt. Jedenfalls wurde Ryūichi Sakamotos Kunst diesmal nicht benötigt.
Cord Riechelmann. »Die Gewalt der Geduld.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Nov. 2012, [www.faz.net/aktuell/f...](https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/auf-dvd-derrida-anderswo-die-gewalt-der-geduld-11941008.html.)
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Herbert Lom
Man konnte Mitleid mit ihm haben: Jacques Clouseau trieb seinen Vorgesetzten Charles Dreyfus in den Pink Panther-Filmen mehr und mehr in den Wahnsinn. An seinem zuckenden Auge, dem »Clouseau-Detektor«, konnte man den Grad der Verrücktheit ablesen, bis es schließlich mit ihm und einem ganzen Schloß im Nichts verpuffte. Gestern ist Herbert Lom im Alter von 95 Jahren gestorben. Seinen Filmpartner Peter Sellers hat er um 32 Jahre überlebt.
Andreas Kilb. »Clouseaus Lieblingsfeind. Zum Tod von Herbert Lom.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Sep. 2012, [www.faz.net/aktuell/f...](https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/zum-tod-von-herbert-lom-clouseaus-lieblingsfeind-11907346.html.)
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Ursula
Thomas Kapielski hätte sich den gesamten ersten Absatz seiner Rezension sparen können, hätte er die »datierten Notizen« Peter Sloterdijks gründlicher gelesen: Am 19. Mai 2008, also ein Jahr vor diesem »ominösen« Ursula-Eintrag aus New York, steht dort auf Seite 27, notiert in Coventry: »Rufe Ursula noch vom Hotel aus an, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren, was sicherlich gut aufgenommen wurde. Für diesmal war die berechtigte Furcht, einen vergeßlichen Bruder zu haben, wenn nicht widerlegt, so doch gemildert.« Sloterdijk wird zu dieser Rezension sicherlich etwas Pointiertes in sein Notizheft geschrieben haben.
Thomas Kapielski. »Kann man sich Hegel beim Fernsehen vorstellen?« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Aug. 2012, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/sloterdijks-notizbuecher-kann-man-sich-hegel-beim-fernsehen-vorstellen-11853492.html.
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Übersetzung
»Damn it – don’t translate what I wrote, translate what I meant to write.« Ein lesenswertes Interview mit der Übersetzerin Eva Hesse über Sprache, Begegnungen mit Ezra Pound und Katzen als Lehrer: »Schließlich gab es auch noch meinen Kater Pussy, der ist auf vielen berühmten Leuten gesessen. Er hat sich breitgemacht wie ein Fladen, von ihm habe ich gelernt, was ›besitzergreifend‹ heißt.«
»Warum kommen Sie nicht von Pound los? Im Gespräch mit Eva Hesse.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Aug. 2012, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/im-gespraech-mit-eva-hesse-warum-kommen-sie-nicht-von-pound-los-11842691.html.
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Die Heimkehr
Die Hesse-Verfilmung Die Heimkehr, die ich gestern abend in vollster Schärfe auf ARD HD gesehen habe, mag zwar – wie die F.A.Z. schon am 28. April berichtete – an einigen markanten Stellen über die eigentliche Erzählung hinausgehen; sie war und ist dennoch äußerst sehens- und hörenswert, auch für den des Schwäbischen nicht Mächtigen. Ob es Jochen Hieber war, der seinen ursprünglichen Artikel für die Online-Ausgabe der Zeitung überarbeitet hat, und warum er dies tat, ist ungewiß. Denn leider wurde ein unschöner, doch unfreiwillig wortspielerisch wirkender Fehler hineingeschrieben, an einer Stelle, die für die Beziehung von Textvorlage und filmtechnischer Umsetzung entscheidend ist: »Dies ist eine Verfilming ›nach Hermann Hesse‹.« Da schwingt schon das Weltmännisch-Amerikanische des Heimkehrers Staudenmeyer (bzw. Schlotterbeck) mit!
Jochen Hieber. »Der Weltfahrer und die Witwe.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Mai 2012, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/die-heimkehr-im-ersten-der-weltfahrer-und-die-witwe-11732983.html.
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Curiositas
Die Gier nach Neuem galt lange Zeit als Motor wissenschaftlicher Erkenntnis, als treibende Kraft, Grenzen zu überschreiten und das ›unentdeckte Land‹ zu vermessen. Doch was ist aus der Neugierde geworden? Gibt es in der heutigen Wissenschaft noch einen Platz für sie oder zählt nurmehr noch das persönliche Netzwerk als Karriereprinzip? Peter-André Alt macht sich stark für die curiositas, den Zufall als Erkenntnisprinzip sowie für Beharrlichkeit und Ausdauer beim wissenschaftlichen Arbeiten.
Peter-André Alt. »Ist der Kandidat denn auch gut vernetzt?« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Jan. 2012, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/motive-der-forschung-ist-der-kandidat-denn-auch-gut-vernetzt-11600466.html.
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Publish or perish?
Jürgen Kaube macht in der heutigen F.A.Z. auf eine Untersuchung des amerikanischen Anglisten Mark Bauerlein aufmerksam, die in erschreckender Weise darlegt, daß die Geisteswissenschaften ein Produktionssystem erzeugt haben, das Geschriebenes in hohem Maße erzeugt, während zugleich die Abnehmer, die Leser, fehlen. Man sollte sich daher Schopenhauers Wort zu Herzen nehmen, nach dem man nur dann schreiben sollte, wenn man etwas zu sagen habe.
Jürgen Kaube. »Eine Industrie ohne Abnehmer.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Jan. 2012, N5.
Mark Bauerlein. »The Research Bust.« The Chronicle of Higher Education, Dec. 4, 2011, https://www.chronicle.com/article/The-Research-Bust/129930/.
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Kinozeit
Am Nikolaustag haben einige Namenstag, andere Geburtstag, doch viele (oder fast alle) werden beschenkt. So ist dieser 6. Dezember nicht nur ein faszinierendes Datum für Kinder; auch für Erwachsene (oder solche, die von sich sagen, sie wären erwachsen) ist dieser Tag von einer magischen Aura umgeben. Obgleich sich an solchen Feiertagen Gott und die Welt in den Städten tummelt, war ein Abstecher ins Kino eine zwar riskante, aber letztlich absolut lohnenswerte Überraschung. Was wurde gespielt? Die neunzehnte, sehr authentische Verfilmung Jane Eyres. Absolut sehenswert!
Verena Lueken. »Geschichtsunterricht in Frauenschauer.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Nov. 2011, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/video-filmkritiken/video-filmkritik-geschichtsunterricht-in-frauenschauer-11545421.html.
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