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  • 2019 – Mein Bücherjahr

    Am letzten Tag des Jahres werfe ich – wie schon 2012, 2017 und 2018 – einen chronologisch ausgerichteten Blick zurück auf die abwechslungs- und lehrreichen Bücher, die ich in den vergangenen zwölf Monaten lesen und – im privaten Kreise – mitherausgeben konnte:

    Die Cover des Jahres (Auswahl)

    Benita Eisler. Byron. Der Held im Kostüm. Aus dem Amerikanischen von Maria Mill. Blessing, 1999.

    Bernd Brunner. Die Kunst des Liegens. Handbuch der horizontalen Lebensform. 2. Aufl., Galiani, 2013.

    Hans Blumenberg alias Axel Colly. »Frühe Feuilletons (1952-1955).« Herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler. Neue Rundschau, Heft 4/2018, 129. Jahrgang. Herausgegeben von Hans Jürgen Balmes, Jörg Bong, Alexander Roesler und Oliver Vogel. S. Fischer, 2018, pp. 5-123.

    Achim Landwehr. Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit. Essay zur Geschichtstheorie. S. Fischer, 2016.

    Benjamin Balint. Kafkas letzter Prozess. Aus dem Englischen von Anne Emmert. Berenberg, 2019.

    Friedrich Hölderlin. 1770-1788. Nürtingen / Denkendorf / Maulbronn. Erste Gedichte. Homer. Luchterhand, 2004. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, herausgegeben von D. E. Sattler. Bremer Ausgabe, Bd. 1.

    Friedrich Hölderlin. 1788-1790. Tübingen. Oden und Hymnen. Geschichte der schönen Künste. Salomo und Hesiod.Luchterhand, 2004. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, herausgegeben von D. E. Sattler. Bremer Ausgabe, Bd. 2.

    Schreibweise mit NiWo. Band I: Die E-Mails 1999-2004. Ausgewählt, herausgegeben sowie mit 26 Abbildungen versehen von Nico Schulte-Ebbert und Sebastian Diederich. Mit einem Epílogos von Nico Schulte-Ebbert. NiWoPress, 2019. [Privatdruck]

    Schreibweise mit NiWo. Band II: Die E-Mails 2005-2009. Ausgewählt, herausgegeben sowie mit 39 Abbildungen und zwei einleitenden Hommagen versehen von Nico Schulte-Ebbert und Wolf Ekkehard Griesenbach. Mit einem Vorwort von Wolf Ekkehard Griesenbach. Mit so einer Art Proëpílogos von Nico Schulte-Ebbert. NiWoPress, 2019. [Privatdruck]

    Kirk McElhearn. Take Control of LaunchBar (1.1). Eyes of the World Limited, 2014, epub.

    Hans Blumenberg. Lebenszeit und Weltzeit. 3. Aufl., Suhrkamp, 1986.

    The Library of Congress. The Card Catalog. Books, Cards, and Literary Treasures. Foreword by Carla Hayden. Chronicle Books, 2017.

    Marc Aurel. Selbstbetrachtungen. Übertragen und mit einer Einleitung von Wilhelm Capelle. Elfte Aufl., Kröner, 1967.

    Robert Musil. Der Mann ohne Eigenschaften. Jung und Jung, 2017. Gesamtausgabe Bd. 4, herausgegeben von Walter Fanta.

    Peter Neumann. Jena 1800. Die Republik der freien Geister. 3. Aufl., Siedler, 2018.

    Jochen Schmidt. Hölderlin in Homburg. Insel, 2007.

    George Eliot. Zu Gast in Weimar. Deutsche Übersetzung Nadine Erler. Bertuch, 2019.

    August Macke. Ganz nah. Ausstellungskatalog, herausgegeben vom Hochsauerlandkreis, der Landrat, 2019.

    Pierre Bertaux. Friedrich Hölderlin. Suhrkamp, 1978.

    Uwe Wolff. Der Schreibtisch des Philosophen. Erinnerungen an Hans Blumenberg. [Typoskript; erscheint im März 2020 bei Claudius]

    Inge Jens. Am Schreibtisch. Thomas Mann und seine Welt. Rowohlt, 2013.

    Ulrich Schulte-Ebbert. Eine Jugend im Krieg. Die kurze Laufbahn des Bordfunkers Fritz Wenniges. Nach Briefen und schriftlichen Aufzeichnungen. Ergänzt um Erläuterungen und zusätzliche Informationen. Privatdruck, 2019.

    → 2:45 PM, Dec 31
  • Aktenzeichen FK (un-)gelöst. Benjamin Balints »Kafkas letzter Prozess« ist (leider) mehr als eine Gerichtsreportage

    Etwas zu besitzen bedeutet, darüber verfügen zu können. Ein Besitz ist das Gut, das jemandem gehört. Doch das, was in Besitz genommen wurde, kann sich zur Besessenheit entwickeln, kann seinen Besitzer selbst besitzen, ihn in Anspruch nehmen, was einst dem Teufel vorbehalten war. Wer besitzt wen, wer hat die Kontrolle in diesem fanatischen Belagerungsspiel? [Weiterlesen auf literaturkritik.de]

    → 3:10 PM, Jul 2
  • Romandosis

    Der Begriff »Bibliotherapie« wurde vor 100 Jahren geprägt und läßt an die Kafkasche Axt erinnern, die das gefrorene Meer in uns aufspaltet. Allerdings darf man – auch aus bibliotherapeutischer Sicht – nicht vergessen, daß Bücher auch den gegenteiligen Effekt haben sollten: die aufgewühlte See zu beruhigen, uns in Eisberge zu verwandeln.


    James McWilliams. »Books Should Send Us Into Therapy: On The Paradox of Bibliotherapy.« The Millions, Nov. 2, 2016, http://www.themillions.com/2016/11/books-should-send-us-into-therapy-on-the-paradox-of-bibliotherapy.html.

    Franz Kafka. »An Oskar Pollak, 27. Januar 1904.« Briefe 1902-1924, Fischer Taschenbuch, 1975, pp. 27-8. Gesammelte Werke in acht Bänden, herausgegeben von Max Brod.

    → 9:30 AM, Nov 7
  • »Bitte keine Besuche« oder: »Folge nicht mir, folge dir!« Hermann Hesse zum 50. Todestag

    Wenn man in dieser Woche an einem Zeitschriftenregal vorbeischlendert, so wird man eines Mannes mit Strohhut gewahr, der dem Vorbeischlendernden vom Titelblatt des Spiegel aus direkt in die Augen schaut. Es ist eine merkwürdig kolorierte Version einer Fotografie, die das Hamburger Nachrichtenmagazin bereits im Jahre 1958 zierte. Doch nicht allein die Farbe macht den Unterschied: Das aktuelle Titelblatt zeigt den Schriftsteller Hermann Hesse – denn um eben jenen »Störenfried«, so der Schriftzug, handelt es sich dabei – mit erhobenem Mittelfinger. Darunter die Appositionen (in Großbuchstaben!): »SINNSUCHER, DICHTER, ANARCHIST«. Ein verstörendes, wenn nicht gar provozierendes Bild.

    Doch so sehr die Differenz von friedlicher Mimik und aggressiver Gestik auch irritieren mag: Sie trifft den Menschen Hesse, der sich nicht festlegen läßt, der von den einen vergöttert, von den anderen verachtet wird. Hermann Hesse bezieht Stellung – und bezieht sie zugleich nicht. Er heiratet dreimal – und bleibt doch ein ewiger Alleingänger. Er feiert das Leben – und denkt doch stets an Suizid. Er verteufelt den Pietismus – und kommt doch nie vom Glauben los. Er ist ein Seher, der zeit seines Lebens unter Augen- und Kopfschmerzen leidet – wie auch Friedrich Nietzsche. (Seine dritte Ehefrau Ninon liest ihm ab 1929 fast 1.500 Bücher vor!)

    Mit dem von ihm bewunderten Philosophen aus Röcken teilt Hesse auch das Asketische, Einsame, Einzelgängerische, das ebenso wie das Doppelgängermotiv sein Leben und Schreiben charakterisiert. Die Doppelstruktur von Gut und Böse, Innen und Außen, Ich und Nicht-Ich – sprich: diese Doppelhelix als evolutionär-genetischer Impetus durchzieht das Werk des bis heute polarisierenden Schriftstellers von der ersten bis zur letzten Seite.

    Eng mit diesem gnostischen Denken verbunden ist Hesses radikales Distanzschaffen, worin er Hans Blumenberg oder – ganz extrem – Thomas Pynchon gleicht. Schon früh fühlt er sich als Fremdkörper in seiner Familie, als ein Anderer und Außenseiter, der als Brandstifter und potentieller Amokläufer gar in eine Nervenheilanstalt gesteckt wird. Sein Biograph Gunnar Decker bezeichnet ihn gleich an drei Stellen seiner in diesem Jahr bei Hanser erschienenen, sehr lesenswerten Biographie als »Berührungsneurotiker«, der sein Leben strikt nach seinem eigenen Rhythmus ausrichtet und »Unberührbarkeitsrituale« pflegt. Diese Abwehrmechanismen gehen so weit, daß Hesse selbst seine eigene Familie und seine Kinder nicht erträgt. Der Wein und das Alleinsein bleiben wichtiger als menschliche Beziehungen.

    Hier zeigt sich in extremo seine Aversion gegen jegliche Form von Vereinen, Bünden, Gruppen oder Mitgliedschaften, was ihm oft Anfeindungen und – gerade während des Ersten Weltkrieges und in den Jahren nach 1933 – den Ruf eines Nestbeschmutzers bis hin zum Vaterlandshasser einbringt. So verwundert es nicht, daß Hesse auch Preisen und Ehrungen ablehnend gegenübersteht. Als ihm nach bemerkenswertem Einsatz Thomas Manns in Stockholm 1946 der Nobelpreis für Literatur verliehen wird, nimmt er diesen nicht persönlich in Empfang.

    Stockholm – Hesse verachtet die Metropolen! Als einsamer Steppenwolf liebt er das Ländliche, das seiner Imagination Raum gibt. Ohnehin reist der einst begeisterte und leidenschaftliche Wanderer (auch hierin ähnelt er etwa Nietzsche oder Thomas Bernhard) mit zunehmendem Alter immer weniger, vertieft sich immer mehr ins innere Erkunden, das er mit dem weniger wichtigen Äußeren kontrastiert. (Zuletzt besucht der Schweizer Hesse seine Heimat Deutschland im Jahre 1936.)

    Viele Fotos und vereinzelte Filmaufnahmen zeigen Hesse als stoischen Asketen bei der Gartenarbeit. Er schneidet Rosen oder sitzt einfach am Feuer, zündelt, verbrennt Reisig und starrt gebannt in die Flammen. Das Feuer ist für ihn Symbol des Lebens, Wasser ist stets Medium des Todes. Im Garten findet Hesse, der Mitentdecker Kafkas, die Ruhe zur Meditation. Gunnar Decker schreibt: »So ist der Garten nicht nur ein Sinnbild des menschlichen Lebens, für Hesse wird er das Modell seiner Arbeit als Autor, eine Schule des Sehens und des Säens, des glücklichen Gleichgewichts von vita activa und vita contemplativa.«

    Aus diesem Gleichgewicht heraus entsteht mit großem Fleiß und strenger Disziplin ein Werk, das 20 Bände umfaßt, dazu kommen noch ein Dutzend Briefbände, Hunderte Zeichnungen und Aquarelle. Als Hermann Hesse, dem seine Leukämie-Diagnose nicht mitgeteilt wird – mit Goethe teilt der Hypochonder »die Abwehr gegen Krankheit und Tod« (Decker) –, am 9. August 1962 morgens zwischen 7 und 9 Uhr in Montagnola an einem Hirnschlag stirbt, hinterläßt er der Welt obendrein ein Nachlaß-Konvolut von 44.000 Briefen.

    Wir werden auch 50 Jahre nach seinem Tod noch viel von und über Hermann Hesse erfahren, nicht zuletzt dank eines von ihm verschnürten, ominösen Päckchens, das sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach befindet, und das nicht vor dem Jahre 2017 geöffnet werden darf – Hesses Art der Flaschenpost in und für die Zukunft!

    → 9:00 AM, Aug 9
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