Geld
Tweetrausch
Kate Knibbs schreibt in einem Beitrag für Wired:
Trevor McFedries, ein in Los Angeles ansässiger Startup-Gründer, kauft seit dem Start von Valuables Tweets. Er schätzte die Art und Weise, wie gezeigt wurde, daß alles, was jemand im Internet macht, Kunst sein kann, und daß sogar ein Tweet als wertvolle kreative Arbeit angesehen werden kann. Kürzlich wählte er einen der Lieblingstweets seiner Freunde aus – ein Ranking von Nudelformen – und kaufte ihn für 3 Ether, umgerechnet 1.920 Dollar. ›Die Leute fragten: Warum zum Teufel würdet ihr 1.900 Dollar für einen Tweet ausgeben?‹, sagt McFedries. ›Aber er hat einen Wert für mich. Ich möchte ihn besitzen.‹
Bald schon werden die ersten Twitter-Millionäre ihre wertvollsten Zwitschereien an den Wänden der großen Museen präsentieren, wobei das gar nicht nötig sein dürfte; ihre Twitter-Profile reichten völlig aus.
Kate Knibbs. »The Next Frontier of the NFT Gold Rush: Your Tweets.« Wired, 03.10.2021, https://www.wired.com/story/nft-art-market-tweets/.
Die kulinarischen Kosten des Brexits
In einem kritischen Beitrag für den Guardian weist Elton John auf die Auswirkungen des Brexits auf Künstler des Vereinigten Königreichs hin, denen bei Auftritten in der EU fortan eine bürokratische und finanzielle tour de force bevorstehe. Prägende Erfahrungen, wie sie Elton John in den sechziger Jahren auf dem Kontinent gemacht habe, blieben nicht-privilegierten britischen Musikern höchstwahrscheinlich verwehrt:
Wäre ich der Keyboarder einer jungen Band oder ein Solokünstler, der gerade erst anfängt, würde ich wohl kaum die Chance bekommen, nach Hamburg zu fahren oder mich in Paris mit Hotdogs bewerfen zu lassen.
Musik ist auf mehreren Ebenen Geschmackssache.
Elton John. »I learned by touring Europe in the 60s. Young artists need the same chance.« The Guardian, 7 Feb 2021, https://www.theguardian.com/commentisfree/2021/feb/07/elton-john-touring-europe-young-artists-brexit-negotiators-musicians-support.
Das Glück des Cristiano Ronaldo
Der in Harvard lehrende Moralphilosoph Michael Sandel erinnert in einem Interview anläßlich der Publikation seines neuen Buches Vom Ende des Gemeinwohls an etwas Triviales, dessen man sich in unserer heutigen Leistungs- und Wertegesellschaft jedoch unbedingt bewußt sein sollte (ich zitiere den Dolmetscher):
Nehmen wir etwa einen sehr erfolgreichen Sportler wie Cristiano Ronaldo, der Dutzende Millionen an Gehalt einstreicht, ein bedeutender Fußballspieler. Aber ist das wirklich sein eigenes Verdienst, die Talente, die er hat, daß er so gut Fußball spielt? Hat er nicht auch großes Glück gehabt? Ist es nicht auch Zufall, daß er in einer Gesellschaft lebt, die eben Fußballspielen so schätzt und die ihm es ermöglicht hat, solchen Erfolg zu erringen? Hätte er in der Renaissance gelebt, wo die Menschen eben für Fußball nicht so große Achtung hegten, sondern vielleicht eher für Fresko-Maler, da hätte sein Leben einen ganz anderen Verlauf genommen. Und so gilt es eben auch für die Wirtschaft insgesamt: Wir, die wir Erfolg haben im Wirtschaftsleben, sollten uns immer dessen bewußt sein, daß wir Glück haben, daß wir eben belohnt werden für das, was wir können, durch eine Gesellschaft, die eben zufälligerweise das schätzt, worin wir gut sind.
Die heute Erfolgreichen sollten also Demut zeigen und Angst haben vor einer neuen Renaissance – aber vielleicht ist diese bereits subtil am Werk.
»Philosoph Michael Sandel über Corona in den USA (Gespräch).« Deutschlandfunk Kultur. Sein und Streit, 1. November 2020, 21:16-22:20, podcast-mp3.dradio.de/podcast/2…
Dichtung und Mammon
Nachdem im Dezember 1909 – beinahe 78 Jahre nach Goethes Tod – das Manuskript von Wilhelm Meisters theatralische Sendung in Zürich aufgetaucht war, entwickelte sich ein spannender Publikationskampf zwischen den Verlagen, den schließlich Goethes Hausverlag Cotta für sich entscheiden konnte. Der Germanist Philip Ajouri schreibt: »Der Wert des Originals, das nur eine Abschrift war, ging also für die Rechteinhaber und die Besitzer der Handschrift in die Zehntausende. Das ist besonders bemerkenswert, wenn man sich vergegenwärtigt, dass im Jahr 1912 nur ein gutes Prozent der Bevölkerung über 6.000 Mark im Jahr verdiente.« Blickt man auf das Jahreseinkommen der gegenwärtigen Spitzenverdiener, so stellt man fest, daß das obere Prozent der deutschen Steuerzahler mehr als 150.000 Euro verdient. Ich überlasse es dem Leser, den Wert der Goethe-Abschrift auf heutiges Niveau umzurechnen.
Philip Ajouri. »Der Erstdruck von Goethes Wilhelm Meisters theatralische Sendung. Ökonomisches und symbolisches Kapital in einem Verlegerwettstreit um 1900.« Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, Band LX 2016, pp. 383-98.
Patrick Bernau. »Deutschlands Spitzenverdiener schwächeln.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Jan. 2016, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/einkommensanteil-des-obersten-prozents-in-deutschland-sinkt-13995524.html.
Vertauschte Rollen
Von einem Podcast des Deutschlandfunks lerne ich, daß Andrew Jackson – von 1829 bis 1837 der siebte Präsident der USA – ein leidenschaftlicher, harter und kompromißloser Populist, Rassist und Sklavereibefürworter mit genozidalen Anwandlungen gewesen sei, der heutzutage vermutlich vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag landen würde. Stattdessen landete er, der Demokrat war, auf dem Zwanzig-Dollar-Schein. Für den beliebten und verehrten Republikaner und Sklavenbefreier Abraham Lincoln war nur Platz auf der Fünf-Dollar-Note.
Hannes Stein. »Präsidentschaftswahlen in den USA, Teil 1: Der lange Weg zur Rassistenpartei.« Deutschlandfunk, Essay und Diskurs, 9. Okt. 2016, 9:30 Uhr
Dotedu-Blase
Aus der New York Review of Books erfahre ich, daß sich in den USA eine 1,2 Billionen Dollar große Studienschuldenblase gebildet habe. Wohl dem, dem die Bürde eines überbewerteten Hochschulabschlusses erspart bleibt!
Rana Foroohar. »How the Financing of Colleges May Lead to DISASTER!« The New York Review of Books, Oct. 13, 2016, vol. LXIII, no. 15, pp. 28-30.