People, Hell and Angels

In der heutigen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung stieß ich in der Kolumne »Fragen Sie Gottschalk«, die ich stets mit ambivalenten Gefühlen mehr oder weniger aufmerksam zur Kenntnis nehme, auf folgende, von Inga Brückweh aus Hannover gestellte Frage: »Haben Sie eine Lieblingsband? Welche Musik hören Sie gerade?«  Als im doppelten Wortsinne »alter« (Radiomoderatoren-)Hase erwartete ich von Thomas Gottschalk eine zumindest halbwegs überraschende Antwort, das heißt, daß ich nicht mit den üblichen Verdächtigen Beatles, Stones oder Dylan gerechnet hätte. Und meine Erwartung wurde nicht enttäuscht: »Würde mir eh keiner glauben, wenn ich hier irgendwelche Neuerscheinungen aus den Independent Charts hochloben würde, nur um cool zu wirken. Also bin ich ehrlich. Nachdem David Bowie mir und allen anderen mit seiner aktuellen CD ›The Next Day‹ bewiesen hat, dass man auch noch kreativ sein kann, wenn es auf die siebzig zugeht, freue ich mich gerade über das neue Album von Jimi Hendrix, der diese Marke bereits geknackt hätte, wenn es ihm denn vergönnt gewesen wäre. ›People, Hell and Angels‹ beweist, dass er immer noch mit Recht zu den besten Gitarristen der Rockgeschichte gezählt wird.« Ich kann Gottschalk hier nur zustimmen: Das postum am 5. März 2013 veröffentlichte Album, das als Nachfolger von Electric Ladyland geplant war, umfaßt zwölf unveröffentlichte Blues-Rock-Songs und erreichte eine Woche nach seiner Veröffentlichung Platz 2 der Billboard-Charts – die höchste Platzierung eines Hendrix-Albums seit 45 Jahren!

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Instrumental at its best!

Ich habe Tony R. Clef schon vor einigen Jahren auf YouTube entdeckt und war auf Anhieb von seinen Arrangements begeistert. Trotz einer weltweiten Fan-Gemeinde ereilte den heute 53jährigen die Krönung wohl im letzten Jahr, als er den von Paul McCartney ausgerufenen Cover-Wettbewerb des Songs »Maybe I'm Amazed« gewann. Es lohnt sich sehr, sich durch Clefs Videos zu klicken. Als ein Beispiel seines Könnens folgend seine Version von David Bowies »Life on Mars?« aus dem Jahre 2007:

[www.youtube.com/watch](https://www.youtube.com/watch?v=0rpfuSdo1aY)
Life on Mars? by Tony R. Clef (2007)

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Robert Cray, Geschichtenerzähler

Die Geschichte, die uns Robert Cray in einer Mischung aus Blues, Soul und Reggae erzählen möchte (»Have a seat and I’ll tell you a tale«), kommt auf den ersten Blick als ein unterhaltsamer Zeitvertreib daher, als Kurzweil, doch sie ist es mitnichten: Mit seiner eindringlichen, ins Falsett entgleitenden Stimme, die ansonsten posaunig-mahnend tönt, klagt Cray das Fehlverhalten eines Mannes namens Johnny an, »who turned out to be a cheater«. Johnny, ein Egoist und Angeber (»All the money and the clothes / And the cars that he drove just kept his ego fed«), betrügt seine Frau mit »number two«, läßt sie mit den Kindern und dem Haushalt alleine. Doch nicht nur Johnny steht im Fokus von Crays Anklage: mit ihm bezichtigt er indirekt die Gesellschaft, die Bewohner der Stadt, des Fehlverhaltens, da sie von Johnnys »playboy-thing« wußten und es insgeheim tolerierten: »Everyone in town knew he always made the rounds / Not a word was said / To his friends he was king / Cause he thought of everything / Except his number one«. Doch letztlich kommt alles raus: die Geliebte findet seine Telefonnummer. Das Gerücht geht um, die beiden Frauen hätten die ganze Nacht miteinander gesprochen, »[t]hey had to teach him a lesson / They had to make things right«. Der »arme Johnny« wird schließlich mit vereinten Kräften geschnappt (»he got caught in a trap and it snapped«) und niedergemacht: »Once from the left, then from the right / They took him down late that night«. Cray zelebriert diese Aktion genüßlich, indem er sie dreimal im Refrain wiederholt. Dabei zeigt sich die 2007er »Crossroads«-Version seines erstmals 2005 auf dem Album Twenty erschienenen »Poor Johnny« authentischer als das Original, da sie an den entscheidenden dramatischen Stellen im Refrain ein erhöhtes Tempo annimmt, an anderen verzögernd wirkt, welches die Brisanz der Handlung Johnnys unterstreicht. Ohnehin wird der Song nicht nur durch Crays hypnotisches Gitarrenspiel und seine unverwechselbare Stimme geprägt; gerade der äußerst präzise und rudimentäre Schlagzeugeinsatz Tony Braunagels, der puristisch-stakkatohafte Bass Richard Cousins‘ sowie der an Bach erinnernde Basso continuo des Keyboards von Jim Pugh erschaffen eine absolut faszinierende Atmosphäre aus Schmerz, Spannung und Anklage. Als krönender Abschluß erklingt – gleichsam als eine Art Nachruf auf Johnny (»shame on you, buddy!«) – Frédéric Chopins »Marche funèbre« (Klaviersonate Nr. 2 b-Moll op. 35, dritter Satz), was sicherlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist.

[www.youtube.com/watch](https://www.youtube.com/watch?v=nrEaGYLqjxA)
Robert Cray: »Poor Johnny« (Crossroads, 2007)