Literaturkritik
Leser’s Traum
Das literaturwissenschaftliche Kompendium »Arno-Schmidt-Handbuch« ist ein verlässlicher Kompagnon durch Leben und Werk des auratischen Schriftstellers
In der Satirezeitschrift »pardon« erschien im Oktober 1973 eine Glosse Peter Knorrs mit dem Titel: »Wer hat sich den bloß einfallen lassen?« Anlass ist der mit 50.000 D-Mark dotierte Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main gewesen, der im Vormonat dem legendenumrankten Schriftsteller Arno Schmidt (1914-1979) verliehen worden war. Knorr stellte zehn hochamüsante Thesen zur Existenz (oder genauer: Nicht-Existenz) »diese[r] seltsamste[n] Figur der deutschen Literaturszene« auf, über die es in der zweiten unmissverständlich heißt: »Es gibt ihn [Arno Schmidt] gar nicht. Und das Gegenteil soll er erst mal beweisen. Fest steht doch: er ist zur Entgegennahme des diesjährigen Goethe-Preises in Frankfurt nicht erschienen. Statt dessen hat eine (seine?) Frau Schmidt Geld und Ehren in Empfang genommen. Die kann ja wirklich so heißen; was sagt das?« [Weiterlesen auf literaturkritik.de]
Rezensionsexemplar: Arno-Schmidt-Handbuch (Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, März 2023)
Selbstkasteiungen eines Kritikers
Hinsichtlich fehlender Ironie und überbordendem »Identitätskitsch« in der heutigen Literatur, ersinnt der Klagenfurter Juror Philipp Tingler in einem Beitrag für die NZZ zwei Arten der Selbstkasteiung, die seinen Schmerz ob dieses Mangels und jener Entwicklung weniger gravierend erscheinen lassen sollen.
Die äußerliche Selbstkasteiung:
Seit zwei Jahren sitze ich in der Jury des Bachmann-Preises, und manchmal möchte ich mir in Klagenfurt Feuerquallen auf die Augen drücken.
Die innerliche Selbstkasteiung:
Lieber konsumiere ich undatierten Eiersalat aus dem Verkaufsautomaten in der Kantine des ORF Kärnten.
Man leidet mit ihm und ist versucht, sich seinen radikalen Experimenten anzuschließen, gäbe es nicht einen weniger leidvollen Ausweg, zumindest für den Hobbyleser und Laienkritiker: sich derartiger Literatur durch vollkommene Mißachtung zu entziehen, sie in keinster Weise zur Kenntnis zu nehmen.
Philipp Tingler. »Die richtige Moral macht schlechte Literatur nicht besser – und den Kritiker erst recht nicht.« Neue Zürcher Zeitung, 05.07.2021, https://www.nzz.ch/feuilleton/philipp-tingler-ueber-erfahrungen-am-klagenfurter-wettlesen-ld.1632823.