Mücke
Viralitäten
In einer kenntnisreichen, ausgewogenen und äußerst lesenswerten Rezension des 1948 geborenen amerikanischen Wissenschaftsjournalisten David Quammen findet sich die folgende kritische Passage:
»Ein Leser kann Winegard all die schwungvollen Anspielungen auf die Popkultur, die schlechten Wortspiele, die unnötigen Fußnoten, die überhitzten zusammengesetzten Adjektive (›mosquito-haunted shadows‹ des Römischen Reiches; ›mosquito-doomed‹ Kolonisten in Darien) und die Tendenz zu wiederholten Klischees (Kaffee ›went viral‹, als er zuerst nach England importiert wurde; die Beulenpest ›went viral‹ im 14. Jahrhundert; das Buch Silent Spring ›went viral‹ 1962; und selbst die Grippe schaffte es 1919 ›to go viral‹, obwohl sie bereits ein Virus war) vergeben, weil seine Stimme freundlich und sein Thema riesig ist. Sein Buch ist charmant ambitioniert. Enttäuschender als die kleinen Unfälle ist seine Entscheidung, die wissenschaftliche Dimension der Moskitos fast vollständig zu vernachlässigen.« [Meine Übersetzung]
In einer Zeit, in der Belangloses zum Phänomen wird, und Phänomene – vorwiegend im Internet – ›viral gehen‹, nimmt es nicht wunder, daß rückblickend auch die berühmt-berüchtigte Spanische Grippe mit diesem Begriff belegt wurde. Frei assoziierend könnte man nun von viral und Grippe über Kontakt, Ansteckung und Verbreitung hin zu Netzwerken, social media und Influenza/Influencer nachsinnen und so sicherlich irgendwann beim Moskito, der kleinen Mücke, Fliege (μυῖα, musca), und dessen elefantöser weltgeschichtlicher Einwirkung enden.
David Quammen. »Suckers.« Rezension zu The Mosquito: A Human History of Our Deadliest Predator, von Timothy C. Winegard. The New York Review of Books, Dec. 5, 2019, vol. LXVI, no. 19, pp. 19-21, hier p. 20.