Abgenützte Köpfe

Von allen Prognosen, die auf den Gebieten der Wissenschaft und der Technologie für das Jahr 2017 ausgesprochen worden sind – von selbstfahrenden Automobilen (welch schöne Tautologie!) über Quantencomputer bis zu privat finanzierten Fahrten zum Mond –, gefällt mir eine Vorhersage besonders gut: »Prof Sergio Canavero, an Italian neuroscientist, is also preparing to carry out the first human head transplant within a year. Valery Spiridonov, 31, a Russian who suffers from Werdnig-Hoffmann disease, a muscle-wasting condition, is to be the first patient.« Kopftransplantationen könnten 50 Jahre nach der ersten geglückten Herztransplantation ein neues Kapitel in der Menschheitsgeschichte aufschlagen. Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard (1931-1989) hatte schon 1986 mit dem Gedanken gespielt, Köpfe so einfach zu wechseln wie Hosen. In einem seiner Dramolette läßt er die Figur Peymann sagen:

Schade daß man sich nicht auch ohne weiteres / einen neuen Kopf kaufen kann Bernhard / ich ginge jetzt im Augenblick gern mit Ihnen in einen Laden / und kaufte mir einen neuen Kopf / das ganze Leben laufen wir doch immer nur / mit einem abgetragenen ich will sagen mit einem abgenutzten Kopf herum / mit einem schäbig gewordenen Kopf Bernhard / alle Leute haben einen schäbigen Kopf auf / alle Köpfe die wir sehen sind abgenützte Köpfe / ich selbst habe natürlich einen völlig abgenützten Kopf / kaum haben wir einen Kopf / haben wir auch schon einen abgenützten / die Welt hat nur lauter abgenützte Köpfe / Das wäre doch eine tolle Sache Bernhard / wenn wir jetzt in ein Geschäft gehen könnten / und könnten uns neue Köpfe kaufen / und Sie trügen dann einen neuen / und ich trüge Ihren alten abgenützten in der Plastiktasche / und ich trüge auch einen neuen / und Sie trügen meinen alten Kopf in der Plastiktasche / und wir gingen mit neuen Köpfen auf dem Hals / in die Zauberflöte essen / und hätten unsere alten Köpfe in den Plastiktaschen

Thomas Bernhard. »Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen.« Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen. Drei Dramolette, Suhrkamp, 1993, pp. 26-52.

Schon heute hätte die Gewißheit, stets einen kühlen Kopf bei sich zu tragen, etwas ungemein Beruhigendes.


Sarah Knapton. »Science and technology predictions for 2017.« The Telegraph, Dec. 30, 2016, http://www.telegraph.co.uk/news/predictions-2017/science-technology/.


Pionierin

Die New York Times berichtet, daß ein Team tschechischer Wissenschaftler an der Person der Beatrice de Bourbon, der zweiten Frau des böhmischen Königs Johann von Luxemburg, den ersten nachweisbar gelungenen Kaiserschnitt festmacht. Am 25. Februar 1337 gebar Beatrice in Prag auf diese unnatürliche Weise ihren Sohn Wenzel und lebte noch 46 Jahre lang, obgleich ein derartiger chirurgischer Eingriff hinsichtlich Schmerzen, Blutverlust, Streß und Infektionsrisiken ein immenses Trauma darstellte. Der Schock sei, so Antonin Parizek von der Prager Karls-Universität, wesentlich für das Überleben der Gebärenden verantwortlich gewesen, da dieser die erheblichen Blutungen eingedämmt habe. Ich weiß nicht, welche anästhetischen Mittel im 14. Jahrhundert zur Verfügung gestanden haben; die Schmerzen dürften jedoch enorm gewesen seien.


Hana de Goeij. »A Breakthrough in C-Section History: Beatrice of Bourbon’s Survival in 1337.« The New York Times, Nov. 23, 2016, http://www.nytimes.com/2016/11/23/world/what-in-the-world/a-breakthrough-in-c-section-history-beatrice-of-bourbons-survival-in-1337.html.