Newsletter
Beinahe ein Newsletter
Vor genau einem Jahr, am 22. Februar 2023, sollte ein Newsletter veröffentlicht werden, den ich mit einem Freund verfaßt habe. Dieser Newsletter verschwand aus verschiedenen Gründen in der digitalen Schublade. Heute möchte ich ihn als ›Newsletter-Versuch‹ auf meinem Blog zugänglich machen, und zwar mit dem eingängigen und trivialen Vers aus Ralph McTells Folksong »Streets of London« (1969) im Hinterkopf: »Yesterday’s paper telling yesterday’s news«.
Facettentektonik
[Coole Begrüßungsformel einfügen]
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was hat uns in der vergangenen Woche beschäftigt? Was haben wir gelesen, gesehen oder gehört? Was haben wir gelernt oder nicht verstanden? Worüber haben wir uns Gedanken gemacht? Kurzum: Was ist uns aufgefallen, das festgehalten werden sollte?
In unserem wöchentlichen Rückblick auf vermeintliche Nebenthemen geht es dieses Mal um Body-Positivity, Roald Dahl, »Wladolf Putler«, Brad Mehldau und ein Coca-Cola-Smartphone.
Gesundheit
Kritik oder nur das Zur-Sprache-bringen von Beobachtungen, Meinungen, ja, (vermeintlichen) Fakten, kann in diesen Zeiten gefährlich sein – und seltsam, ja verstörend anmuten. So beobachtet man schon seit geraumer Zeit die stetig größer werdende Präsenz (es heißt jetzt: »Sichtbarkeit«) korpulenter, nicht der Norm entsprechender Menschen in Werbung und Medien. Doch wie so oft kippt eine anfangs gutgemeinte Bewegung allzu schnell ins Exzentrische und Radikale. So schreibt Viola Schenz in einem Gastkommentar für die Neue Zürcher Zeitung:
Schuld an überzähligen Pfunden oder an der Unzufriedenheit mit der eigenen Figur sind wahlweise ein falsches Körperbild oder, im Fall wohlgenährter Frauen, patriarchale beziehungsweise kapitalistische Gesellschaftsstrukturen oder sexistische Ärzte. Da wird ernsthaft behauptet, Gewichtstabellen seien einst von ›weissen Männern‹ erstellt worden, um Frauenkörper-Massstäbe nach eigenen Sexyness-Vorlieben zu schaffen. Dass auch Männergewichtstabellen existieren, tut nichts zur Sache, ebenso wenig wie die Tatsache, dass in vielen medizinischen Disziplinen inzwischen mehrheitlich weibliche Ärzte tätig sind.
In Anlehnung an René Pfisters Bestseller Ein falsches Wort müsste derjenige der Body-Positivity-Bewegung den Titel tragen Kein falsches Gramm.
Literatur
Aufmerksamkeit, nein, Aufschreie erhielt vor einigen Tagen die Nachricht, dass der Verleger des vorwiegend als Kinderbuchautor bekannten britischen Schriftstellers Roald Dahl (1916-1990), Puffin Books, dessen Werke »nach eigenem Gutdünken bearbeitet, gekürzt, geändert und ergänzt« habe, »um sie an das heutige Empfinden anzupassen«. Ein ausführlicher Beitrag im Telegraph beleuchtet die Hintergründe und listet Hunderte von Eingriffen in den Text auf.
So wurde beispielsweise »Selbst wenn sie als Kassiererin in einem Supermarkt arbeitet oder Briefe für einen Geschäftsmann tippt« zu »Auch wenn sie als Spitzenwissenschaftlerin arbeitet oder ein Unternehmen leitet« verbessert, statt »seine Mutter« heißt es nun »seine Eltern« und »Sie fuhr mit Joseph Conrad auf Segelschiffen aus alten Zeiten. Sie reiste mit Ernest Hemingway nach Afrika und mit Rudyard Kipling nach Indien« wurde zu »Sie besuchte mit Jane Austen Landgüter des neunzehnten Jahrhunderts. Sie reiste mit Ernest Hemingway nach Afrika und mit John Steinbeck nach Kalifornien« korrigiert. Der Satz »Herr Kranky war ein kleiner Mann mit kräftigen Beinen und einem riesigen Kopf« wurde neben vielen anderen ganz gestrichen.
Prominent kommentierte diese Säuberungsaktion Salman Rushdie bei Twitter: »Roald Dahl war kein Engel, aber das ist absurde Zensur. Puffin Books und der Dahl-Nachlass sollten sich schämen.«
Podcast
Kennen Sie »Wladolf Putler«? Der 1950 geborene Politikwissenschaftler Claus Leggewie analysiert in einem 30minütigen Essay für den Deutschlandfunk Vergleiche und Parallelen zwischen Putin, Hitler, Faschismus und Stalinismus. »Es geht hier aber weniger«, so Leggewie, »um die Beschreibung eines individuellen oder kollektiven Charakters als um Merkmale und Dynamiken eines Herrschaftsregimes, in dem – so meine These – ein stalinoider Kern und eine faschistoide Außenhülle zu erkennen sind.« Ob es auch eine sprachmagische Dimension gibt? Die Etymologie verrät: »Wladimir Wladimirowitsch Putin, der fesselnde Großschleuderer, ein wandelndes Paradoxon, ein menschgewordenes Dilemma.«
Musik
Gehört haben wir in dieser Woche auch Musik, und zwar das neue Album Your Mother Should Know: Brad Mehldau Plays the Beatles des 1970 geborenen US-amerikanischen Jazz-Pianisten Brad Mehldau. Es handelt sich um ein im September 2020 in der Pariser Philharmonie aufgenommenes Live-Album, das Mehldaus Interpretationen von zehn Beatles-Songs und den abschließenden David-Bowie-Klassiker »Life on Mars?« enthält. Hörenswert! Apple Music Spotify YouTube Music
Technik
Falls Sie sowohl ein Smartphone- als auch ein Coca-Cola-Fan sein sollten – man hört, dass es dieser Exoten viele gibt –, sei Ihnen diese atemberaubende Kooperation des chinesischer Smartphone-Herstellers Realme mit dem amerikanischen Getränke-Giganten empfohlen: They Didn’t Have To Go This Hard!.
Und damit verabschieden wir uns bis nächsten Sonntag.
[Coole Grußformel einfügen]
It’s getting Matter all the time!
Nachdem ich im letzten Jahr am Ende jedes Monats eine chronologisch sortierte Leseliste veröffentlicht habe, habe ich diese Praxis nun vom Blog auf eine relativ neue App verlagert (man könnte von »Outsourcing« sprechen), deren Funktionsumfang weit darüber hinaus reicht.
Matter ist ein relativ neuer Read-Later-Dienst, vergleichbar mit Pocket oder Instapaper, der einen leistungsstarken Textparser mit elegantem Design, sozialen Entdeckungs- und Kuratierungsfunktionen, Anmerkungen und der Möglichkeit, Artikel als Audio anzuhören, kombiniert.
Die drei Haupt-Tabs in Matter: Discover/Inbox, Queue, Profil (Screenshots Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, März 2022)
Die sozialen Funktionen, die Matter anbietet, nutze ich allerdings nicht; es geht mir schließlich um die Speicherung und Präsentation der von mir online gelesenen Texte und soll nicht in neue Social-Media-Abgründe führen. Auch nutze ich die sehr gut implementierte Anmerkungsfunktion nicht; dies erledige ich lieber zentral via DEVONthink in meiner Zettelkasten-Datenbank.
Der Lesemodus der App ist ästhetisch ausgezeichnet, der Vorlesemodus überzeugt mit einer unglaublich natürlich klingenden Stimme (was allerdings nur für englische Texte gilt) und die Möglichkeit, mit einer eigenen Matter-E-Mail-Adresse bequem alle Newsletter und Google Alerts direkt in Matter zu lesen, wodurch das private Postfach entlastet wird, rundet für meine Bedürfnisse ein geradezu unschlagbares Angebot ab, das ohne Abo-Modell oder Einmalkauf daherkommt.
Lese-/Vorlesemodus, Aktivitäts-Tab, Einstellungsmenü (Screenshots Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, März 2022)
Ein wenig schade ist die Tatsache, daß man lediglich digitale Texte posten kann; gelesene Print-Artikel oder Bücher, die ich problemlos auf meine Leselisten aufnehmen konnte, können nicht verlinkt werden, jedenfalls noch nicht. Die Weiterentwicklung der App bleibt spannend. Erst kürzlich wurde Matter for Web als Beta-Version freigegeben. It’s getting Matter all the time!
Matter Web App (Screenshot Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, März 2022)
Es bleibt abzuwarten, wie sich Matter mit GoodLinks oder auch dem von mir bevorzugten RSS-Reader NetNewsWire produktiv und ohne Redundanz einsetzen läßt. Eventuell können hier Kurzbefehle oder auch Keyboard Maestro-Macros das Zusammenspiel dieser Apps vereinfachen und ihre jeweiligen Stärken prononcieren.