Von Feuerwehrfesten und Karriereplänen

Aus einem Interview, das der Soziologe Niklas Luhmann am 2. Oktober 1997 mit Wolfgang Hagen für Radio Bremen geführt hat, erfahre ich von den Schwierigkeiten und Hürden der Beamtenlaufbahn. Vor dem Hintergrund der beruflichen Situation Luhmanns in Niedersachsen und seines Harvard-Stipendiums 1960/61 resümiert Hagen:

Und dann saßen Sie im niedersächsischen, äh, Kultusministerium und, äh, entdeckten so die Möglichkeit, nochmal zu studieren. Da waren Sie ja auch schon an die dreißig.

Luhmann führt aus:

Hhm, ich mußte natürlich immer dafür sorgen, daß ich irgendwo von leben konnte, nicht? Und das war eben mit diesem Fellowship in Harvard zu machen. Und dann hatte ich also ein Jahr Zeit, um mir zu überlegen… Es war zunächst mal das Problem, daß ich einfach, äh, daß der Beruf im Kultusministerium mich zunehmend in Anspruch nahm, weil ich dann auch politische Anforderungen zukamen. Man mußte dann plötzlich abends irgendwas machen. Also ich meine, ich konnte ja nicht immer beides [Beruf und Selbststudium] nebeneinander herlaufen lassen mit dem Schnitt um 17 Uhr sozusagen. Und außerdem war eben auch die, die weitere Laufbahn also ganz unklar, was ich äh, entweder mußte es… ich… Beamtenrechtlich gesehen war das ganz unorthodox gelaufen und, äh… Das Innenministerium hat immer, also bei jeder Beförderung, äh, [anstehen? unverständlich] hat, hat’s immer blockiert, weil ich also nicht die normalen Beamtenlaufbahn hatte, also nie auf’m Landkreis bei einem Feuerwehrfest gewesen war und so. Ich werde nie ’n ordentlicher Beamter, wenn ich mich also nicht auf, äh, auf einem Feuerwehrfest betrinke. Und dann hab’ ich zu ihm [?] gesagt, ich lese Hölderlin, das müßte ja eigentlich [Lachen], aber das hat nicht überzeugt.

Das Fernbleiben von Feuerwehrfesten bewahrte Luhmann, den Sohn eines Brauereibesitzers, vor Beförderung und Alkoholrausch, doch war, wie es beim jungen Hölderlin heißt, »der Bube früh ein Trunkenbold« der Begriffe, Systeme und Zettel, so daß sich ein anderer Karriereweg für ihn auftat.


Niklas Luhmann. »Niklas Luhmann – 1997 – Es gibt keine Biographie (Persönliches und Werk).« YouTube, 12.04.2017, https://www.youtube.com/watch?v=nFhQ6SrIKVo, 27:16-28:35.

Friedrich Hölderlin. »Die Ehrsucht.« [1788] Gedichte bis 1800. Herausgegeben von Friedrich Beißner. Stuttgart, 1946, p. 38-9, hier p. 38, VI/4. Große Stuttgarter Ausgabe 1.1.


Zettelkasten

Als ich eben das Nachwort zu Hans Blumenbergs Quellen (Hg. Ulrich v. Bülow u. Dorit Krusche. DLA Marbach, 2009) las, mußte ich über folgende Randbemerkung schmunzeln: »Seinen ersten Zettelkasten legte Blumenberg vermutlich bereits Anfang der vierziger Jahre an, in einer Zeit, in der er wegen seiner jüdischen Herkunft Verfolgungen und Benachteiligungen ausgesetzt war. Für diese Datierung spricht nicht nur der Zustand der frühen Karteikarten, sondern auch eine seiner Randbemerkungen in Niklas Luhmanns Erfahrungsbericht ›Kommunikation mit Zettelkästen‹ (in: N. L., ›Universität als Milieu‹, Bielefeld, 1992). Gegen dessen Erklärung, er arbeite seit nunmehr 26 Jahren mit seinem Zettelkasten, setzt Blumenberg 1981 handschriftlich die Zahl ›40!‹.« (91) In den insgesamt 55 Jahren bis zu seinem Tode schuf Blumenberg ein Archiv aus 30.000 Karten! Blumenberg – nein! die Herausgeber seiner Nachlaß-Fragmente sind es, die mehr und mehr zum modernen Quintus Fixlein avancieren, indem sie sein Leben (und Denken!) aus Zettelkästen, aus Schubern und Mappen ziehen. Es bleibt zu hoffen, daß sie im Sinne des so peniblen Philosophen mit Feingefühl, Kommentaren und in historisch-kritischer Manier diese Mammutaufgabe bewältigen.

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