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  • Huysmans revisité

    Als ich heute Morgen im Deutschlandfunk ein Gespräch Gisa Funcks mit Hartmut Sommer hörte, der Joris-Karl Huysmans’ 1906 erschienenes, letztes Werk Lourdes. Mystik und Massen erstmals ins Deutsche übertragen hat, erinnerte ich mich, daß ich im Frühjahr 2004 für einen Blog, den ich von 2003 bis 2008 mit zwei Freunden betrieb, eine kleine Anzeige zu Huysmans’ Roman A Rebours geschrieben hatte. Eine schnelle Recherche in meinem Archiv förderte diese Kürzestrezension zutage, die ich folgend originalgetreu und mit der damals verwendeten Grafikdatei des Buchcovers wiedergebe:

    Da die Frau gleichwohl zuweilen am Haus entlanggehen mußte, um einen Schuppen zu erreichen, in dem das Holz aufbewahrt wurde, wünschte er, daß ihr Schatten, wenn sie an den Scheiben seiner Fenster vorüberkam, nicht feindlich wirke, und er ließ ihr eine Tracht aus grober flämischer Ripsseide fertigen, mit weißer Haube und weiter, tief herabreichender schwarzer Kapuze, wie sie in Gent noch die Frauen des Beginenhofs tragen. Der Schatten dieser Kopfbedeckung, der in der Dämmerung an ihm vorüberging, gab ihm das Gefühl, sich in einem Kloster zu befinden, gemahnte ihn an jene stummen und frommen Dörfer, jene toten Viertel, die in einer Ecke einer tätigen und lebhaften Stadt eingeschlossen und vergraben sind.

    Huysmans 1992: 47

    »Lebst du noch oder wohnst du schon?« Allen, die sich schon mal mit dem Gedanken beschäftigt haben, das Leben eines exzentrischen Dandys in der Abgeschiedenheit eines kleinen Landhauses zu führen (und, seien wir ehrlich, wer von uns hat noch nie darüber nachgedacht?), sei Huysmans’ (1848-1907) bahnbrechender Roman wärmstens ans Herz gelegt. Im Jahre 1884 erschienen, zählt »A Rebours«, so der Originaltitel, zu den »Hauptwerke[n] der literarischen Dekadenz des Fin de siècle« (Reclam).

    Des Esseintes, misanthropischer Hypochonder, verlässt Paris und errichtet in Fontenay sein eignes Universum aus Kunst (Moreau, El Greco …), Literatur (Balzac, Poe, antike und mittelalterliche Dichter …) Architektur, Musik, Botanik (»Er war immer ein Blumennarr gewesen, […]«, 115) und Chemie. Dies wird auf 250 Seiten in unglaublicher Detailverliebtheit geschildert. Die Idee, den Panzer einer Schildkröte golden zu überziehen, ihn mit den kostbarsten Mineralien zu ornamentieren, damit er in ein sich bewegendes Wechselspiel mit einem glänzenden Orientteppich treten könne (vgl. 70ff.), mutet schon befremdlich an und zeugt von der ungeheuren Phantasie Huysmans’.

    Huysmans, Joris-Karl (1992): Gegen den Strich. Stuttgart: Reclam.

    Summa summarum ist »Gegen den Strich« ein köstliches, wenn auch nicht ganz leicht zu lesendes Buch, das nicht nur reale Zeitgenossen, sondern eventuell auch Wildes Dorian Gray »vergiftet« hat [vgl. hierzu Wilde, Oscar (1992): Das Bildnis des Dorian Gray. Stuttgart: Reclam, 175ff. u. 314f.].

    © NiWo 2004

    → 8:30 AM, Jul 25
  • 2019 – Mein Bücherjahr

    Am letzten Tag des Jahres werfe ich – wie schon 2012, 2017 und 2018 – einen chronologisch ausgerichteten Blick zurück auf die abwechslungs- und lehrreichen Bücher, die ich in den vergangenen zwölf Monaten lesen und – im privaten Kreise – mitherausgeben konnte:

    Die Cover des Jahres (Auswahl)

    Benita Eisler. Byron. Der Held im Kostüm. Aus dem Amerikanischen von Maria Mill. Blessing, 1999.

    Bernd Brunner. Die Kunst des Liegens. Handbuch der horizontalen Lebensform. 2. Aufl., Galiani, 2013.

    Hans Blumenberg alias Axel Colly. »Frühe Feuilletons (1952-1955).« Herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler. Neue Rundschau, Heft 4/2018, 129. Jahrgang. Herausgegeben von Hans Jürgen Balmes, Jörg Bong, Alexander Roesler und Oliver Vogel. S. Fischer, 2018, pp. 5-123.

    Achim Landwehr. Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit. Essay zur Geschichtstheorie. S. Fischer, 2016.

    Benjamin Balint. Kafkas letzter Prozess. Aus dem Englischen von Anne Emmert. Berenberg, 2019.

    Friedrich Hölderlin. 1770-1788. Nürtingen / Denkendorf / Maulbronn. Erste Gedichte. Homer. Luchterhand, 2004. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, herausgegeben von D. E. Sattler. Bremer Ausgabe, Bd. 1.

    Friedrich Hölderlin. 1788-1790. Tübingen. Oden und Hymnen. Geschichte der schönen Künste. Salomo und Hesiod.Luchterhand, 2004. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, herausgegeben von D. E. Sattler. Bremer Ausgabe, Bd. 2.

    Schreibweise mit NiWo. Band I: Die E-Mails 1999-2004. Ausgewählt, herausgegeben sowie mit 26 Abbildungen versehen von Nico Schulte-Ebbert und Sebastian Diederich. Mit einem Epílogos von Nico Schulte-Ebbert. NiWoPress, 2019. [Privatdruck]

    Schreibweise mit NiWo. Band II: Die E-Mails 2005-2009. Ausgewählt, herausgegeben sowie mit 39 Abbildungen und zwei einleitenden Hommagen versehen von Nico Schulte-Ebbert und Wolf Ekkehard Griesenbach. Mit einem Vorwort von Wolf Ekkehard Griesenbach. Mit so einer Art Proëpílogos von Nico Schulte-Ebbert. NiWoPress, 2019. [Privatdruck]

    Kirk McElhearn. Take Control of LaunchBar (1.1). Eyes of the World Limited, 2014, epub.

    Hans Blumenberg. Lebenszeit und Weltzeit. 3. Aufl., Suhrkamp, 1986.

    The Library of Congress. The Card Catalog. Books, Cards, and Literary Treasures. Foreword by Carla Hayden. Chronicle Books, 2017.

    Marc Aurel. Selbstbetrachtungen. Übertragen und mit einer Einleitung von Wilhelm Capelle. Elfte Aufl., Kröner, 1967.

    Robert Musil. Der Mann ohne Eigenschaften. Jung und Jung, 2017. Gesamtausgabe Bd. 4, herausgegeben von Walter Fanta.

    Peter Neumann. Jena 1800. Die Republik der freien Geister. 3. Aufl., Siedler, 2018.

    Jochen Schmidt. Hölderlin in Homburg. Insel, 2007.

    George Eliot. Zu Gast in Weimar. Deutsche Übersetzung Nadine Erler. Bertuch, 2019.

    August Macke. Ganz nah. Ausstellungskatalog, herausgegeben vom Hochsauerlandkreis, der Landrat, 2019.

    Pierre Bertaux. Friedrich Hölderlin. Suhrkamp, 1978.

    Uwe Wolff. Der Schreibtisch des Philosophen. Erinnerungen an Hans Blumenberg. [Typoskript; erscheint im März 2020 bei Claudius]

    Inge Jens. Am Schreibtisch. Thomas Mann und seine Welt. Rowohlt, 2013.

    Ulrich Schulte-Ebbert. Eine Jugend im Krieg. Die kurze Laufbahn des Bordfunkers Fritz Wenniges. Nach Briefen und schriftlichen Aufzeichnungen. Ergänzt um Erläuterungen und zusätzliche Informationen. Privatdruck, 2019.

    → 2:45 PM, Dec 31
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