PPA, Teil 2

In den Sieben-Uhr-Nachrichten des Rundfunksenders WDR 3 hörte ich an diesem sonnigen Sonntagmorgen Außergewöhnliches, oder besser gesagt: Außerordentliches:

In Köln beginnt um 11 Uhr die große Parade zum ›Christopher Street Day‹. Rund 60.000 Teilnehmende haben sich für den CSD angemeldet. Das sind ungefähr sechsmal mehr als beim Rosenmontagszug.

Ich fragte mich, wie das möglich sein kann: Wie kann es bereits 60.000 Teilnehmende geben, wenn die Veranstaltung noch gar nicht begonnen hat? Handelt es sich bei diesen Teilnehmenden nicht bis 11 Uhr vielmehr um 60.000 Angemeldete – oder mit zeitgeistig präziser Verrenkung: um ›Angemeldetseiende‹?

Natürlich eignen sich Partizipialsubstantive als Signal für ›Gendersensibilität‹ im medialen Soziolekt besonders gut vor dem Hintergrund einer solchen Großveranstaltung, denn: »Der diesjährige ›Cologne Pride‹«, so WDR aktuell weiter, »fordert uneingeschränkte gesellschaftliche Anerkennung für queere Menschen«.

Das ist löblich, begrüßenswert und wichtig. Anerkennung für grammatische und semantische Funktionen wird indes weniger prominent zelebriert: Es gibt keine Teilnehmenden einer noch nicht stattfindenden Veranstaltung, ganz gleich welche sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sie besitzen mögen. Die Teilnehmenden partizipieren nicht, und das klingt doch recht diskriminierend und ausgrenzend.




»Grammatische Deutschheit«

Eben las ich in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (20. Jan. 2013, Seite 37) einen kurzen Text mit dem Titel »Correct! Gibt es eine allmächtige Sprachpolizei, welche das Deutsche zensiert?« Sein Verfasser, F.A.S.-Feuilletonchef Claudius Seidl, plädiert darin für Höflichkeit, Respekt und Aufmerksamkeit bei der Verwendung (oder eben der Nicht-Verwendung) sogenannter kritischer Wörter. Seidl schließt seinen Kommentar mit den Worten: »Jene Deutschtümler aber, die weiterhin gegen die ›political correctness‹ und für die alten Wörter kämpfen, wollen auch weiterhin Krüppel, Neger, Zigeuner sagen dürfen. Es ist ja auch erlaubt. Es ist nur schrecklich unhöflich und vulgär.« Der Begriff »Deutschtümler« erinnerte mich an Friedrich Rückerts Gedicht »Grammatische Deutschheit« aus dem Jahr 1819, das sich als aktueller Debattenkommentar hervorragend eignet:

Neulich deutschten auf deutsch vier deutsche Deutschlinge deutschend,
Sich überdeutschend am Deutsch, welcher der Deutscheste sey.
Vier deutschnamig benannt: Deutsch, Deutscherig, Deutscherling, Deutschdich;
Selbst so hatten zu deutsch sie sich die Namen gedeutscht.

Jetzt wettdeutschten sie, deutschend in grammatikalischer Deutschheit,
Deutscheren Comparativ, deutschesten Superlativ,
»Ich bin deutscher als deutsch.« »Ich deutscherer.« »Deutschester bin ich.«
»Ich bin der Deutschereste, oder der Deutschestere.«

Drauf durch Comparativ und Superlativ fortdeutschend,
Deutschten sie auf bis zum – Deutschesteresteresteren;
Bis sie vor comparativisch- superlativischer Deutschung
Den Positiv von Deutsch hatten vergessen zuletzt.

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