Robert Burton
Anatomie der Melancholie
Der klassische Philologe Gregory Hays gibt in einer Rezension dreier Titel zum Thema Depression einen konzisen Überblick über die mannigfaltigen Ursachen der Melancholie, die Robert Burton (1577–1640), anglikanischer Geistlicher, Gelehrter und Bibliothekar am Christ Church College in Oxford, in seinem erstmals 1621 unter dem Pseudonym »Democritus Junior« erschienenen Hauptwerk The Anatomy of Melancholy, What it is: With all the Kinds, Causes, Symptomes, Prognostickes, and Several Cures of it. In Three Maine Partitions with their several Sections, Members, and Subsections. Philosophically, Medicinally, Historically, Opened and Cut Up aufzählt, und zwar
Erbsünde, Wildfleisch, Zorn, übermäßige Einsamkeit, Dämonen, stehendes Wasser, Exil, Kohl, zu viel Sex, zu wenig Sex, die Sterne, Milch und Milchprodukte (außer Eselsmilch), der Tod geliebter Menschen, Obst, berufliche Eifersucht, Verstopfung, Neid und Schalentiere.
Burton, der »Herodot der Verzweiflung«, liefert potentielle Heilmittel melancholischer Leiden gleich mit; dazu zählen
Borretsch, Seekrankheit, Furzen, Kerzen, Freundschaft, das Betrachten von Landkarten, das Hören von Musik, das Ansehen historischer Aufführungen, mit Gewürzen gekochtes Widderhirn, ein heißes türkisches Getränk namens Kaffee (»benannt nach einer Beere, die so schwarz wie Ruß und so bitter ist«), Aderlaß, Edelsteine, die Farben Grün, Rot, Gelb und Weiß und – für Frauen – Nähen und Sticken.
Ein derartig buntes Füllhorn von Ursachen und Behandlungen läßt die moderne Pharmako- und Psychotherapie geradezu schwarzgallig erscheinen.
Gregory Hays. »A Mind in Pain.« Rezension zu The Anatomy of Melancholy, von Robert Burton, The Empire of Depression: A New History, von Jonathan Sadowsky, sowie How to Be Depressed, von George Scialabba. The New York Review of Books, vol. LXVIII, no. 16, October 21, 2021, pp. 32-5, hier p. 32.