← Home About Archive Photos Also on Micro.blog
  • Das Glück des Cristiano Ronaldo

    Der in Harvard lehrende Moralphilosoph Michael Sandel erinnert in einem Interview anläßlich der Publikation seines neuen Buches Vom Ende des Gemeinwohls an etwas Triviales, dessen man sich in unserer heutigen Leistungs- und Wertegesellschaft jedoch unbedingt bewußt sein sollte (ich zitiere den Dolmetscher):

    Nehmen wir etwa einen sehr erfolgreichen Sportler wie Cristiano Ronaldo, der Dutzende Millionen an Gehalt einstreicht, ein bedeutender Fußballspieler. Aber ist das wirklich sein eigenes Verdienst, die Talente, die er hat, daß er so gut Fußball spielt? Hat er nicht auch großes Glück gehabt? Ist es nicht auch Zufall, daß er in einer Gesellschaft lebt, die eben Fußballspielen so schätzt und die ihm es ermöglicht hat, solchen Erfolg zu erringen? Hätte er in der Renaissance gelebt, wo die Menschen eben für Fußball nicht so große Achtung hegten, sondern vielleicht eher für Fresko-Maler, da hätte sein Leben einen ganz anderen Verlauf genommen. Und so gilt es eben auch für die Wirtschaft insgesamt: Wir, die wir Erfolg haben im Wirtschaftsleben, sollten uns immer dessen bewußt sein, daß wir Glück haben, daß wir eben belohnt werden für das, was wir können, durch eine Gesellschaft, die eben zufälligerweise das schätzt, worin wir gut sind.

    Die heute Erfolgreichen sollten also Demut zeigen und Angst haben vor einer neuen Renaissance – aber vielleicht ist diese bereits subtil am Werk.


    »Philosoph Michael Sandel über Corona in den USA (Gespräch).« Deutschlandfunk Kultur. Sein und Streit, 1. November 2020, 21:16-22:20, http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2020/11/01/philosoph_michael_sandel_ueber_corona_in_den_usa_drk_20201101_1315_32e0a516.mp3.

    → 9:15 AM, Nov 2
  • Blau ist bunt

    Farben spielen im Leben der Menschen eine entscheidende Rolle. Allein die Tatsache, daß Farbwörter unter den Sinneswörtern besonders ausgeprägt sind, verdeutlicht die Relevanz dieser optischen Eindrücke, die durch eine traditionell-symbolische Aufladung noch vergrößert wird.

    Aus einer Rezension erfahre ich, daß die Farbe Blau erst ab dem 17. Jahrhundert als Bezeichnung des Wassers verwendet worden sei. Homers Meer war noch »weindunkel« (οἶνοψ); auch wurde es oft als veilchen- (ἰοειδής) oder purpurfarben (πορφύρεος) bezeichnet. Der blaue Planet ist also seinerzeit ein violetter gewesen. Blau habe sich, so Jesse Russell, »von seiner ursprünglichen Verbindung mit Wärme, Hitze, Barbarei und den Kreaturen der Unterwelt zu seiner gegenwärtigen Verbindung mit Ruhe, Frieden und Träumerei entwickelt.«

    Die polnische Linguistin Anna Wierzbicka stellte in ihrem 1990 veröffentlichten Aufsatz »The meaning of color terms« die Frage, was Menschen meinten, wenn sie Farbwörter benutzten. Ausgehend von Umweltuniversalien wie Tag, Nacht, Feuer, Sonne, Vegetation, Himmel und Erde entwickelte Wierzbicka eine Theorie der Konzepte, indem sie verdeutlichte: »Color perception is, by and large, the same for all human groupings […]. But color conceptualization is different in different cultures, although there are also some striking similarities. […] Whatever happens in the retina, and in the brain, it is not reflected directly in language. Language reflects what happens in the mind, not what happens in the brain; and our minds are shaped, partly, by our particular culture.«

    Von Werthers blauem Frack und Novalis’ blauer Blume über das Blausein nach dem Konsum von zuviel Alkohol, der blue jeans als Ausdruck von Freiheit und Rebellion und dem Blues als Musikgenre bis hin zu den Flaggen von UN und EU und zur französischen Herren-Fußballnationalmannschaft, die kurz »Les Bleus« genannt wird – die Farbe Blau ist omnipräsent und polysem wie andere Farben auch. Zeiten ändern sich, die Mode mit ihr, und ebenso die Farben und Farbbedeutungen mitsamt all der mannigfaltigen Verknüpfungen von Werten, Gefühlen und Symbolen sowie die Art und Weise, wie bunt wir unseren blauen Planeten sehen.


    Jesse Russell. »The Colors of Our Dreams.« Rezension zu Blue: The History of a Color, von Michel Pastoureau. Claremont Review of Books, April 1, 2019, https://www.claremont.org/crb/basicpage/the-colors-of-our-dreams/.

    Anna Wierzbicka. »The meaning of color terms. Semantics, culture, and cognition.« Cognitive Linguistics 1/1990, pp. 99-150, hier pp. 102-3.

    → 12:00 PM, Apr 4
  • RSS
  • JSON Feed
  • Micro.blog