Kein Lärm um nichts

Heute vor zehn Jahren, am 23. Juli 2011, druckte die Samstagsausgabe der seit 1849 erscheinenden und im mittelfränkischen Gunzenhausen ansässigen Tageszeitung Altmühl-Bote auf Seite 4 den folgenden Leserbrief ab:

Ein lauer Sommerabend mit einer spritzigen Shakespeare-Komödie vor der wunderschönen Kulisse des Dennenloher Schlosses und Rhododendronparks? Mitnichten. Zumindest die Stunde vor Vorstellungsbeginn glich eher einem Trauerspiel. Zuerst konfrontierte man uns mit Preiserhöhungen und dem gleichzeitigen Wegfall der aus den letzten Jahren vertrauten Ermäßigung für Arbeitslose, Behinderte, Senioren, Studenten und Zivis (Rabatt gab es bloß für Gruppen und Kinder). Als zwei aus weiter Ferne angereiste, nicht sehr begüterte Literaturstudenten lernten wir dank schmerzender 50 Euro für zwei Karten, dass Kultur wohl nur noch etwas für Reiche ist. Nachdem wir uns in der zweiten Reihe eingerichtet hatten, begannen plötzlich einige Mädchen, in den schon gut besetzten ersten beiden Reihen Reservierungszettel auszulegen. Kurz darauf stieß Baron Süsskind hinzu und forderte uns und andere bereits sitzende Besucher zu einem Platzwechsel auf (den die inzwischen eingetroffene Gruppe mit Reservierung ausdrücklich nicht verlangte). Proteste und der Hinweis auf einen Planungsfehler wurden ziemlich uncharmant mit der Aussage »Die Zettel lagen schon da« entkräftet, was die Sitzenden leider als Lügner und Ignoranten reservierter Plätze abqualifizierte. Was die sich anschließende Shakespeare-Komödie betrifft, so wurden wir, wie gewohnt, von einer mitreißenden Schauspieltruppe bestens unterhalten. Doch der nicht so tolle Beigeschmack des Abends wird uns im nächsten Jahr fernbleiben lassen. Hoffentlich verhallt unser Lärm bis zum übernächsten Jahr nicht ungehört. Kristy Husz und Nico Schulte-Ebbert, Münster

Bild 1 »Theatervorstellung wegen Regen in der Reitbahn / Viel Spaß!« (Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Juli 2011, bearbeitet von NSE, Juli 2021)

Bild 2 Eine See von Stühlen, noch kein Meer von Plagen, da ohne Reservierungszettel (Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Juli 2011, bearbeitet von NSE, Juli 2021)


Pionierin

Die New York Times berichtet, daß ein Team tschechischer Wissenschaftler an der Person der Beatrice de Bourbon, der zweiten Frau des böhmischen Königs Johann von Luxemburg, den ersten nachweisbar gelungenen Kaiserschnitt festmacht. Am 25. Februar 1337 gebar Beatrice in Prag auf diese unnatürliche Weise ihren Sohn Wenzel und lebte noch 46 Jahre lang, obgleich ein derartiger chirurgischer Eingriff hinsichtlich Schmerzen, Blutverlust, Streß und Infektionsrisiken ein immenses Trauma darstellte. Der Schock sei, so Antonin Parizek von der Prager Karls-Universität, wesentlich für das Überleben der Gebärenden verantwortlich gewesen, da dieser die erheblichen Blutungen eingedämmt habe. Ich weiß nicht, welche anästhetischen Mittel im 14. Jahrhundert zur Verfügung gestanden haben; die Schmerzen dürften jedoch enorm gewesen seien.


Hana de Goeij. »A Breakthrough in C-Section History: Beatrice of Bourbon’s Survival in 1337.« The New York Times, Nov. 23, 2016, http://www.nytimes.com/2016/11/23/world/what-in-the-world/a-breakthrough-in-c-section-history-beatrice-of-bourbons-survival-in-1337.html.


Protestwahl

Eine interessante Art der Kandidatenempfehlung für den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf gibt die Philosophin Judith Butler. Laut einem Interview in der F.A.S. werde sie ihre Stimme Hillary Clinton ex negativo geben, denn es sei leichter gegen die Demokratin zu protestieren als gegen Trump: »Wir müssen ihr [Clinton] ins Weiße Haus helfen, damit wir eine Opposition gegen sie aufbauen können. Denn eine Opposition gegen Clinton hat bessere Chancen erfolgreich zu sein als eine gegen Trump.« Clinton, das kleinere, demokratischere Übel, wird so in eine Machtposition gesetzt, damit man ihre Macht beschneiden und lenken kann.


Judith Butler und Gregor Quack. »Das Paradox der Demokratie.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16. Okt. 2016, p. 54-5.


»And I’m just like that bird«

Sowohl Edo Reents als auch Heinrich Detering stellen in der heutigen F.A.Z. die Oralität des frischgebackenen Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan als ein wichtiges Charakteristikum seines Werkes heraus. So findet man im Text des ersten die Passage: »In gewisser Weise setzt sie [das Nobelpreiskomitee?] die Literatur, die in ihren Anfängen und für lange Zeit ja mündlich war, nun wieder in ihr Recht, indem sie jemanden prämiert, der kaum Bücher vorzulegen hat, der lieber zu seiner lyra singt, also lautlich in Erscheinung tritt.« In Deterings Artikel heißt es: »Es ist die Sehnsucht, aus einer avancierten und hochdifferenzierten Schriftkultur heraus einen neuen Anschluss zu finden an die Ursprünge einer Poesie, in der Wort und Klang, Kunstwerk und Aufführung noch eine ungeschiedene Einheit gewesen waren.« So ist diese Auszeichnung weniger eine progressive oder politische Entscheidung, sondern vielmehr eine Erinnerung an die Wiege der Literatur in der Flüchtigkeit und Eindringlichkeit der Stimme, back to the roots quasi. Paradoxerweise ist Dylan verstummt; bis dato gibt es keinerlei Reaktion seinerseits auf den Nobelpreis. Und gerade deshalb möchte ich, an Mörike angelehnt, den Reents durch den Titel seines Textes eingeführt hat, schließen: ›Dylan, ja du bist’s! / Dich haben wir vernommen!‹


Edo Reents. »Er ist’s!« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Okt. 2016, p. 9.

Heinrich Detering. »Des alten Knaben Wunderhorn.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Okt. 2016, p. 9.


Schwarze Briefe und diamantene Himmel

In der Zeit lese ich ein paar dort vorabgedruckte Briefe Martin Heideggers an seinen Bruder Fritz. »Sensationell neu ist daran«, so heißt es im einführenden Text, »die ungeschminkte Selbstauskunft über die politische Gesinnung.« In der Tat positioniert sich Heidegger in seinen Briefen als leidenschaftlicher Hitler-Bewunderer und Antisemit. Da kommt die Mitteilung der Schwedischen Akademie in Stockholm, die mich während der Lektüre erreicht, wie gerufen: Der diesjährige Literaturnobelpreis geht an den (jüdischen) Musiker Bob Dylan.


Alexander Cammann und Adam Soboczynski. »Der Fall Heidegger.« Die Zeit, 13. Okt. 2016, p. 45.