Meister der Überbevölkerung
Aus einer Rezension des Literaturkritikers Evan Kindley lerne ich:
Balzac hat die wiederkehrende Figur
[_character_]
nicht erfunden, aber er hat sie weiter geführt als jeder Schriftsteller vor oder nach ihm. Man schätzt, daß es 2.472 verschiedene Charaktere in Die menschliche Komödie gibt, von denen Hunderte in mehr als einem Roman auftauchen. In seinem wunderbaren neuen Buch Balzac’s Lives bietet Peter Brooks kapitelumfassende »Biographien« von neun von ihnen, zusammen mit kritischen Kommentaren zu den Werken, in denen sie auftauchen. Es ist ein interessantes Experiment, das Balzacs eigentümliche Methode der Charakterkonstruktion ins rechte Licht rückt.
Vor dem Hintergrund dieser äußerst präzisen Schätzung gebührt dem honorigen Monsieur Balzac die Ehre, im Land des gedruckten Wortes zugleich großzügiger Figurenschöpfer als auch Meister der Überbevölkerung zu sein.
Evan Kindley. »The People We Know Best.« Rezension zu Character: Three Inquiries in Literary Studies, von Amanda Anderson, Rita Felski und Toril Moi, Character: The History of a Cultural Obsession, von Marjorie Garber, Character as Form, von Aaron Kunin, sowie Balzac’s Lives, von Peter Brooks. The New York Review of Books, vol. LXVIII, no. 5, March 25, 2021, pp. 12-4, hier p. 14.