Man merkt es dem Song nicht an, aber er wurde unter Zeit- und Geldnot produziert, und zwar in Studio 2 der Abbey Road, das noch mit Instrumenten und Gadgets der Beatles gefüllt war: »A Rose for Emily« der Zombies ist eine Elegie für junge und alte Liebende

Als man Mitte der achtziger Jahre auf dem Friedhof der St Peter’s Church in Woolton, einem Vorort Liverpools, den Grabstein der Familie Rigby entdeckte, fragte man sich, ob Paul McCartney sich dieses Namens aus seiner Kindheit erinnern konnte. Vielleicht brachte ihn auch John Lennon ins Gespräch, denn auf demselben Friedhof befindet sich das Grab seines Onkels George Toogood Smith, dem Mann seiner Tante Mimi, der am 5. Juni 1955 im Alter von zweiundfünfzig Jahren gestorben war. Die Zeile des Grabsteins, die den Namen des bekannten Beatles-Songs beinhaltet, lautet: »Also Eleanor Rigby, the beloved wife of Thomas Woods and granddaughter of the above died 10th Oct 1939, aged 44 years.« Die Geschichte der Namengebung hat viele Varianten. McCartney selbst behauptete, er habe den Namen Rigby von einer Weinhandlung in Bristol entlehnt, während der Vorname auf Eleanor Bron referiere, die 1965 im Beatles-Film Help! mitgespielt hat.

»Als Miss Emily Grierson starb…« – so beginnt die deutsche Übertragung von William Faulkners erstmals 1930 erschienener, im Diogenes-Band nicht einmal fünfzehn Seiten umfassender Kurzgeschichte »Eine Rose für Emily«. Achtunddreißig Jahre später, im April 1968, veröffentlichte die aus St Albans in Hertfordshire stammende Rockband The Zombies, die bis heute in unterschiedlicher Besetzung und mit mehreren langjährigen Pausen seit 1961 aktiv ist, ihr Baroque-Pop-Album Odessey and Oracle (die Falschschreibung geht auf das Konto des 2020 verstorbenen Terry Quirk, eines Kunstlehrers und Freundes der Band, der das florale Cover entworfen hatte), ein heute fast vergessenes Meisterwerk, das sich in allen Belangen mit den besten und einflußreichsten Alben dieser so stilbildenden Ära messen kann. Rod Argent, Keyboarder, Sänger und Songwriter der Zombies, hatte »A Rose for Emily« gelesen und mochte den »wunderschönen, suggestiven Titel«. In der Verknappung des Faulknerschen Plots bleiben unweigerlich wichtige Charakteristika Emilys unerwähnt: die Lieben beziehungsweise Liebhaber ebenso wie der überlange und mächtige Schatten des Vaters sowie der perfide Giftmord aufgrund unerwiderter Liebe, den der Leser erst am Schluß der Erzählung rekonstruieren kann. Da der Song diese wichtigen Aspekte ausblendet, entpuppt er sich als etwas Eigenständiges und Neues, als assoziatives Spiel mit Titel und Thematik der Erzählung, bewahrt jedoch Tragik und Melancholie seines literarischen Vorgängers.

The Zombies – »A Rose for Emily«

Interessanter – weil nicht so offensichtlich – erscheint hingegen die enge thematische und musikalische Verflochtenheit mit dem Beatles-Klassiker »Eleanor Rigby«. Dieser wurde etwa zwei Jahre vor »A Rose for Emily« im August 1966 auf dem Album Revolver veröffentlicht und war, wenn auch kein Novum, so doch eine Anomalie in der harten Welt des Rock’n’Roll, ein melancholischer Monolith des Chamber Pop, der das von Klaus Voormann konzipierte ikonische Wimmelbild-Cover mit einer Kraft zu durchbrechen schien, wie es ähnlich intensiv nur noch das nicht minder traurige »For No One« vom selben Album vermochte. Beide, Eleanor wie Emily, gehören zu den lonely people, den unbemerkten, alleingelassenen Weltflüchtlingen jenseits sozialer Netze, zu deren Beerdigungen niemand kommt und auf deren Gräbern nicht eine einzige Rose liegt. Ganz anders die Situation in Faulkners Welt: Nachdem Miss Emily im Alter von 74 Jahren gestorben war, erschien »das ganze Städtchen«, um sie »unter einer Fülle von gekauften Blumen liegen zu sehen«.

Betrachtet man die Band-Geschichte, so fällt es nicht schwer, eine Parallele zwischen den Zombies und der traurigen Existenz der vergessenen ›Blumenkinder‹ Eleanor und Emily zu ziehen – wobei es sich bei Eleanor eher um ein ›Reiskind‹ handelt, das die nach einer Hochzeit geworfenen Körner als Symbol für Fruchtbarkeit und Wohlstand in einer menschenleeren Kirche aufsammelt. Odessey and Oracle wurde im Summer of Love 1967 – »The summer is here at last«, heißt es einleitend und erleichternd in »A Rose for Emily«, obschon der Himmel nicht wolkenlos ist – in den legendären Abbey Road Studios aufgenommen, maßgeblich beeinflußt von Pet Sounds der Beach Boys und Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band der Beatles, das erst wenige Wochen zuvor erschienen war. Die Zombies waren gerade zurück von einem finanziell desaströsen Gastspiel auf den Philippinen, was die gut zwei Jahre lange Durststrecke mit minderem oder ausbleibendem Chart-Erfolg zu einem neuen Tiefpunkt führte. Und auch Odessey and Oracle, der selbstproduzierte Schwanengesang, von dem es einzig der Song »Time of the Season« über ein Jahr später zu einer gewissen ohrwurmhaften Popularität bringen sollte, der seitdem weder auf Sixties-Kompilationen noch in Vietnamkriegsfilmen fehlen darf, verzeichnete schlechte Absatzzahlen. Zu dem Zeitpunkt allerdings gab es die Zombies offiziell nicht mehr; die Band hatte sich bereits Mitte Dezember 1967 aufgelöst – und niemand brachte ein Rose vorbei, schlimmer noch: Die Rosen waren trotz ihrer Nähe und Üppigkeit unerreichbar.

Doch Rod Argent und Bassist Chris White arbeiteten weiter zusammen, schrieben und produzierten neues Material für die neuformierte Band Argent. War es Stolz, der sie antrieb, der sie über ihre Erfolglosigkeit hinwegtröstete und der sie, ähnlich der vereinsamten, doch voller unerhörter Liebe steckenden Emily, vor ihrem Schmerz schützte? Man erkennt in diesen stolzen Figuren zugleich auch würdevolle Charaktere, deren Würde sich wesentlich aus Leiden speist. So ist auch der wehmütige Gesang Colin Blunstones im Zusammenspiel mit dem zurückhaltenden, geradezu schlichten Klaviereinsatz Ausdruck tiefen Mitgefühls und Respekts. Inzwischen sind alternative Abmischungen von »A Rose for Emily« veröffentlicht, die Cello- und Mellotron-Overdubs enthalten, die der Endabmischung zum Opfer gefallen waren, was sicherlich auch Zeichen des damaligen Zeitdrucks und des äußerst knappen Budgets sind. Mit diesen Zusätzen ähneln sich Eleanor und Emily noch mehr, doch vermag gerade der instrumentale und textliche Minimalismus der Zombies-Ballade die um sich greifende Traurigkeit und Einsamkeit zu intensivieren. Und so liegt eine gewisse Ironie in der Tatsache, daß es ausgerechnet Zombies sind, seelen- und emotionslose Wesen bar jeglicher Menschlichkeit, die Emily und all ihren solitären, unbeachteten Geschwistern, die selbst wie Zombies in der Welt vegetieren, durch ein berührendes Requiem ein Denkmal gesetzt haben. Darüber hinaus ist es tröstlich, daß, obschon Eleanor Rigby »zusammen mit ihrem Namen begraben« wurde, dieser dank der Beatles in aller Munde ist.