Diet of Worms

Ich habe gerade zufällig herausgefunden, daß der Wormser Reichstag im Englischen mit »Diet of Worms« zu übersetzen ist, was natürlich zu einer ungemein komischen Doppeldeutigkeit hinsichtlich der Ernährungsweise wirbelloser Tiere führt.

https://en.wikipedia.org/wiki/Diet_of_Worms

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Erbausschlagung

Die Frage, die sich mir nach der Lektüre des kurzen, mit »Erbsünde und Erlöser« betitelten Artikels Lorenz Jägers in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (27. Jan. 2013, Seite 9) stellt, ist, ob man dieses spezielle Erbe ausschlagen kann.

Mit der Erbausschlagung wäre man quasi reingewaschen von der Ursünde. Dabei ist zu bedenken, daß der Begriff Erbsünde im Englischen mit original sin, im Lateinischen mit peccatum originale wiedergegeben wird. Es scheint hier also so etwas wie ein diatethischer Unterschied, eine aktive und eine passive Sünde vorzuliegen. Jäger schreibt:

Gegen alle Abschwächungen setzte sich die Auffassung durch, dass es sich beim Sündenfall nicht nur um die Vertreibung aus dem Paradies handelte – oder vielmehr, dass diese tiefer verstanden werden muss. Was damals eigentlich geschah, nennt die Kirche den ›Tod der Seele‹, den Verlust der Gnade. Und um ›Erbsünde‹ handelt es sich, weil dieser Stand des Menschen nicht durch Nachahmung, sondern durch Abstammung auf die Nachkommen Adams übergeht.

Auf eine interessante etymologische Verquickung macht Marcel Mauss in seiner Studie Die Gabe, erschienen 1950, aufmerksam:

Wie Hirt bemerkt, war reus ursprünglich ein Genitiv von res und ersetzte re(i)os: derjenige, der von der Sache besessen ist.

Mauss selbst erweitert die Wortbedeutung wie folgt:

das Wort bedeutet 1. das von der Sache besessene Individuum; 2. das Individuum, welches an dem durch die traditio der Sache herbeigeführten Geschäft beteiligt ist; 3. schließlich den Angeklagten und Verantwortlichen.

Der Nachfahre ist als Erbe also Angeklagter (reus), der von der Sache (res) besessen ist, und von der traditio zerquetscht zu werden droht. Mit der Weitergabe, der Abschenkung oder eben der Erbausschlagung wäre diesem Prozeß entgegengewirkt.

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»Grammatische Deutschheit«

Eben las ich in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (20. Jan. 2013, Seite 37) einen kurzen Text mit dem Titel »Correct! Gibt es eine allmächtige Sprachpolizei, welche das Deutsche zensiert?« Sein Verfasser, F.A.S.-Feuilletonchef Claudius Seidl, plädiert darin für Höflichkeit, Respekt und Aufmerksamkeit bei der Verwendung (oder eben der Nicht-Verwendung) sogenannter kritischer Wörter. Seidl schließt seinen Kommentar mit den Worten:

Jene Deutschtümler aber, die weiterhin gegen die ›political correctness‹ und für die alten Wörter kämpfen, wollen auch weiterhin Krüppel, Neger, Zigeuner sagen dürfen. Es ist ja auch erlaubt. Es ist nur schrecklich unhöflich und vulgär.

Der Begriff »Deutschtümler« erinnerte mich an Friedrich Rückerts Gedicht »Grammatische Deutschheit« aus dem Jahr 1819, das sich als aktueller Debattenkommentar hervorragend eignet:

Neulich deutschten auf deutsch vier deutsche Deutschlinge deutschend,
Sich überdeutschend am Deutsch, welcher der Deutscheste sey.
Vier deutschnamig benannt: Deutsch, Deutscherig, Deutscherling, Deutschdich;
Selbst so hatten zu deutsch sie sich die Namen gedeutscht.

Jetzt wettdeutschten sie, deutschend in grammatikalischer Deutschheit,
Deutscheren Comparativ, deutschesten Superlativ,
»Ich bin deutscher als deutsch.« »Ich deutscherer.« »Deutschester bin ich.«
»Ich bin der Deutschereste, oder der Deutschestere.«

Drauf durch Comparativ und Superlativ fortdeutschend,
Deutschten sie auf bis zum – Deutschesteresteresteren;
Bis sie vor comparativisch- superlativischer Deutschung
Den Positiv von Deutsch hatten vergessen zuletzt.

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Geistes- und Körpergrößen

Heute Morgen entdeckte ich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (13. Jan. 2013, Seite 39) unter der Überschrift »Neue Rattles« folgenden Satz:

Ein Weltklassedirigent sollte grundsätzlich nicht größer sein als Karajan oder Napoleon (Stockmaß: 1,62).

Diese mich überraschende Körpergröße (wobei die Nachbarschaft von Dirigent und Kaiser – die Rollen sind austauschbar – nur auf den ersten Blick seltsam anmutet) erinnerte mich an eine Äußerung des Asketen Karajan, auf die ich vergangene Woche in Eric Schulz’ überaus sehens- und höhrenswerter Dokumentation Karajan. Das zweite Leben aufmerksam wurde:

Ich find’ das Wort von Goethe so schön, der sagt: ›Wenn mir mein Inneres so viel zu geben hat und mein Körper verweigert mir den Dienst, dann hat die Natur die Pflicht, mir einen andern Körper herzustellen.‹ Das ist … da bin ich wirklich voll seiner Meinung.

Wo findet sich nur dieser Goethesche Ausspruch? Ganz nebenbei: Goethe überragt mit seinen 1,69 m Karajan und Napoleon um sieben Zentimeter (wohingegen Schiller mit seinen 1,90 m ein wahrer Hüne gewesen ist!). 

Addendum, 17. Januar 2013: Wie ich soeben aus der 3sat-Kulturzeit erfahren habe, maß Richard Wagner nur 1,56 m, weshalb Cosima (die ihn um einen Kopf überragte) auf Photos immer sitzen mußte.


Eleonore Büning. »Im Weinberg der Musik.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Dez. 2012, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/karajan-das-zweite-leben-im-weinberg-der-musik-12001752.html.

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Searle in Münster

Nun, da ich mit meinem Projekt Proust 2013 begonnen habe, entdeckte ich zufällig auf Seite 178 des ersten Bandes einen Notizzettel, den ich am 8. Dezember 2009 angefertigt hatte. An diesem Tag, an dem ich in einem Antiquariat die zehnbändige Recherche in der Übersetzung Eva Rechel-Mertens gekauft hatte (Suhrkamp, 1979), hielt John R. Searle im Rahmen der 13. Münsterschen Vorlesungen zur Philosophie einen öffentlichen Vortrag mit dem Titel »Language and Social Ontology«. Ich erinnere ihn als einen kleinen, ruhigen, bestimmt und klar sprechenden Mann, der vor der Tafel im Audi Max auf und ab ging, und der im Anschluß auf jede Frage aus dem Plenum offen und geduldig einging. Auf meinem Zettel steht folgendes:

status function (declaration); status functions (institutional facts); deontic powers (language as the home of d. p.); desired independent reasons for actions.

1.) Collective Intentionality
2.) Status Function
3.) X counts as Y in C (context)

Natürlich versäumte ich es, mir nach den Fragen eine Unterschrift Searles zu ergattern. Ein »Have a nice night« bekam ich allerdings als Entschädigung von ihm zu hören.

https://www.uni-muenster.de/PhilSem/veranstaltungen/mvph/searle/searle.html

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Der große Gatsby

Die Lektüre des Großen Gatsby (in der 2011 bei Insel erschienenen Übersetzung Reinhard Kaisers), die ich nun endlich und rauschhaft an einem Tag abgeschlossen habe, läßt mich »beschwingt und glücklich« zurück, »alter Junge«!

So kritisch ich auch gelesen habe, so muß ich doch eingestehen, daß dieser Roman keinen einzigen überflüssigen Satz enthält, keine einzige langweilige Passage, keine einzige hölzerne Formulierung! Der präzise dosierte Adjektiveinsatz verblüfft mich noch immer; es gibt tatsächlich von nichts zu viel und von nichts zu wenig. Der große Gatsby sollte Der perfekte Gatsby heißen! Beschwingt von Francis Scott Fitzgeralds Meisterschaft werde ich nun alle noch ausstehenden Lektüre-Verlockungen ignorieren und mich an meinen guten Vorsatz fürs neue Jahr wagen: Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. 2013 soll sie gefunden und komplett gelesen werden! [Eigentlich wollte ich bis zum 14. November warten, denn an jenem Tag im Jahr 1913 (also vor 100 Jahren) erschien der erste Band der Recherche, Du côté de chez Swann, bei Grasset, und zwar auf Kosten des Autors, da andere Verlage den Roman abgelehnt hatten!]

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Lektürenötigung

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (6. Jan. 2013, Seite 42) entdeckte ich die Lübecker Form von Understatement: In Hugo von Hofmannsthals Exemplar des Felix Krull (ein Buch aus seiner etwa 2800 Titel umfassenden Privatbibliothek, die erhalten sind) findet sich eine Widmung Thomas Manns vom 5. November 1923, die da heißt:

An Hugo von Hofmannsthal in der Hoffnung, der parodistische Scherz möge ihn irgend einmal eine Stunde lang leidlich unterhalten.

Welch charmante Lektürenötigung!

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Trakl

Florian Illies zeigt auf Seite 192 seiner Chronologie 1913. Der Sommer des Jahrhunderts ein Photo Georg Trakls, aufgenommen am Lido in Venedig. Sein schwermütig-geblendeter Blick zur Sonne gerichtet, der rechte Arm auf dem Rücken ruhend. Was hält Trakl in der linken Hand? Eine Muschel? Einen Stein? Affektierte Gestik? Illies schreibt: »Die linke Hand geformt zur Knospe, […].« (206) Stämmige Beine. Plattfüße? Noch blieb dem Dichter etwas mehr als ein Jahr bis zu seinem Tod im kalten Galizien.

Georg Trakl, Lido, 1913

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2012 – Mein Jahr in Büchern

Damit er [Albert Schweitzer] nicht einschläft beim Lesen, hat er sich angewöhnt, einen Eimer mit kaltem Wasser unter seinen Schreibtisch zu stellen. Wenn er den Ausführungen in den Büchern nicht mehr wirklich folgen kann, zieht er seine Socken aus, stellt seine Füße ins kalte Wasser und liest dann weiter. (Florian Illies. 1913. Der Sommer des Jahrhunderts. 5. Aufl. Frankfurt a. M.: Fischer, 2012. 72.)

Neben vielen angelesenen, überflogenen oder gar nur durchblätterten Büchern und einer (Zu-)Vielzahl wissenschaftlicher Aufsätze, bunter Fachartikel und dissertationsrelevanter Sekundärquellen konnte ich in diesem Jahr die Lektüre folgender Bücher genießen:

JANUAR

Bernd Mattheus. Cioran. Portrait eines radikalen Skeptikers. Berlin: Matthes & Seitz, 2007.

FEBRUAR

Werner Stegmaier. Friedrich Nietzsche zur Einführung. Hamburg: Junius, 2011. (Eigene Rezension unter: https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16547)

MÄRZ

Achim Thomas Hack. Abul Abaz. Zur Biographie eines Elefanten. Badenweiler: Bachmann, 2011. (Eigene Rezension unter: https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16636)

Peter Sloterdijk. Streß und Freiheit. Berlin: Suhrkamp, 2011. (Eigene Rezension unter: https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16709)

Patrice Bollon. Cioran, der Ketzer. Ein biographischer Essay. Übers. Ferdinand Leopold. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2006.

APRIL

Leo Tolstoi. Auferstehung. Übers. Wadim Tronin und Ilse Frapan. Durchgesehen von Hans-Ulrich Göhler. München: Winkler, 1958.

MAI

David Foster Wallace. Das hier ist Wasser. Anstiftung zum Denken. Übers. Ulrich Blumenbach. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2012. (Eigene Rezension unter: https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16878)

JUNI

George Steiner. Warum Denken traurig macht. Zehn (mögliche) Gründe. Übers. Nicolaus Bornhorn. Mit einem Nachwort von Durs Grünbein. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2008.

David Foster Wallace. Am Beispiel des Hummers. Übers. Marcus Ingendaay. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2010.

Gunnar Decker. Hermann Hesse. Der Wanderer und sein Schatten. München: Hanser, 2012.

JULI

Fritz Senn. Noch mehr über Joyce. Streiflichter. Frankfurt a. M.: Schöffing, 2012.

AUGUST

Hans Mayer. Außenseiter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2007.

Peter Sloterdijk. Zeilen und Tage. Notizen 2008-2011. Berlin: Suhrkamp, 2012. (Eigene Rezension unter: https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=17092)

SEPTEMBER

Terry Eagleton. Einführung in die Literaturtheorie. Übers. Elfi Bettinger und Elke Hentschel. 4. erweiterte und aktualisierte Aufl. Stuttgart und Weimar: Metzler, 1997.

Roland Reuß. Ende der Hypnose. Vom Netz und zum Buch. Frankfurt a. M.: Stroemfeld, 2012.

OKTOBER

John Jeremiah Sullivan. Pulphead. Vom Ende Amerikas. Übers. Thomas Pletzinger und Kirsten Riesselmann. Berlin: Suhrkamp, 2012.

The John Lennon Letters. Edited and with an Introduction by Hunter Davies. London: Weidenfeld & Nicolson, 2012. (Eigene Rezension unter: https://denkkerker.com/2012/10/25/single-fantasy-oder-der-rest/)

Michael Maar. Lolita und der deutsche Leutnant. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2005.

NOVEMBER

Stephen Greenblatt. Die Wende. Wie die Renaissance begann. Übers. Klaus Binder. 4. Aufl. München: Siedler, 2012.

Reiner Stach. Ist das Kafka? 99 Fundstücke. Frankfurt a. M.: Fischer, 2012.

Hans Blumenberg. Quellen, Ströme, Eisberge. Hg. Ulrich von Bülow und Dorit Krusche. Berlin: Suhrkamp, 2012.

Christian Niemeyer. Friedrich Nietzsche. Berlin: Suhrkamp, 2012.

Jürgen Vollmer. The Beatles in Hamburg. München: Schirmer/Mosel, 2004.

DEZEMBER

Joachim Kaiser. Sprechen wir über Musik. Eine kleine Klassik-Kunde. In Zusammenarbeit mit Henriette Kaiser. München: Siedler, 2012.

Sherwood Anderson. Winesburg, Ohio. Eine Reihe Erzählungen vom Kleinstadtleben in Ohio. Hg., neu übersetzt und mit einem Essay von Mirko Bonné. Frankfurt a. M.: Schöffling & Co., 2012.

Henning Ritter. Verehrte Denker. Porträts nach Begegnungen. Springe: zu Klampen, 2012.

Andreas Maier. Wäldchestag. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2000.

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Empfohlene Variante

Soeben wurde ich in meiner vor einigen Jahren vollzogenen Rückkehr zur sogenannten ›alten Rechtschreibung‹ bestärkt. In Sherwood Andersons Erzählungsreigen Winesburg, Ohio (Frankfurt a. M.: Schöffling & Co., 2012) las ich folgenden Satz:

Vor dem Käfig stehen bleibende Kinder sind fasziniert, Männer wenden sich angewidert ab, und Frauen verweilen kurz und versuchen sich vielleicht zu entsinnen, welcher ihrer männlichen Bekannten wohl eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Viech hat. (125)

Der Übersetzer, Mirko Bonné, hätte sich besser nach der empfohlenen Variante »stehenbleiben« (also der alten Rechtschreibung dieses Verbs!) richten sollen, denn dadurch wäre ein Stocken und Zögern und Nachdenken beim Lesen verhindert worden: Da sind also bleibende Kinder, die vor dem Käfig stehen und fasziniert sind? Nein, da stehen bleibende Kinder! Nein, die Kinder sind vor dem Käfig ›stehengeblieben‹ und sind fasziniert! Mich fasziniert diese Getrenntschreibung garnicht, Pardon: gar nicht.

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Jahresgabe

Die diesjährige Jahresgabe der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft zeigt ein Tetraptychon: Vier Briefe aus der etwa 40 Dokumente umfassenden Korrespondenz zwischen Thomas Bernhard und Gerhard Fritsch (1924-1969, Selbstmord). Es handelt sich um eine Postkarte aus Lovran an Fritsch vom 30. März 1956, um einen Brief an Fritsch vom 13. Dezember 1967, um einen Brief an Bernhard vom 13. Februar 1968 sowie um eine kurze Nachricht an Bernhard vom 20. März 1968. (Das Foto wurde aufgrund Urheberrechten unscharf markiert.)

Briefwechsel Bernhard-Fritsch

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»Tom, get your plane right on time«

Paul Simon schrieb »The Only Living Boy in New York« in den Jahren 1968/69. Mit »Tom« spricht er Art Garfunkel an, der zu dieser Zeit nach Mexiko flog, um für den Mike-Nichols-Film Catch-22 vor der Kamera zu stehen; Simon fühlte sich in New York zurückgelassen. Bevor das Duo als Simon & Garfunkel weltberühmt wurde, nannte es sich – noch zu Highschool-Zeiten um 1957 herum – Tom & Jerry. Das Video zeigt Paul Simon kurz vor seinem 70. Geburtstag beim iTunes Festival 2011 im Roundhouse in Camden Town, London.

Paul Simon - The Only Living Boy in New York - Live at iTunes Festival »Hey, I’ve got nothing to do today but smile!«

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Dialekte

Kann man sich Johann Sebastian Bach mit obersächsischem Dialekt vorstellen? Oder Goethe, der – wie ich kürzlich im ersten Band der großen Biographie Nicholas Boyles las – das robuste Frankfurterisch sprach? Boyle schreibt:

[I]Faust reimte er [Goethe] noch 1829 ›Tage‹ auf ›Sprache‹, so wie er 1774/75 ›genug‹ auf ›Besuch‹ gereimt hatte, und der Vers ›Das wäre mir die rechte Höhe‹, 1831 entstanden, ist waschechtes Frankfurterisch (60).

Der Dialekt ist nicht mit dem Akzent gleichzusetzen. Ein sehr schönes Beispiel gibt der junge Arnold Schwarzenegger, der sich mit starkem steirischem Akzent durch den Anfang 1970 erschienenen Fantasy-Film Hercules in New York dilettiert. Köstlich!

Hercules in New York - Arnold talks!

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Die Kunst der Irritation

Wenn sich Bekanntes plötzlich verändert, wenn sich Statisches plötzlich bewegt, wenn Alben-Cover mehr zeigen als verdecken, wenn sie lebendig werden, einen eigenen Rhythmus bekommen, dann erst haben wir das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit überwunden. Willkommen im Zeitalter des Defizitats. Flamboyant!

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καὶ νόμον ἔγνω oder: Abstecher ins Carl-Schmitt-Land

Einige Größen der Geistesgeschichte sind einem fern – sei es intellektuell, sei es thematisch, sei es ideologisch, sei es geographisch. Letzteres kann ich von Carl Schmitt nicht behaupten, wurde er doch 1888 im heimatnahen Plettenberg geboren und nach einem bewegten Leben (der sogenannte »Kronjurist des Dritten Reiches« saß nach dem Zweiten Weltkrieg anderthalb Jahre lang im Nürnberger Untersuchungsgefängnis) 1985 auf dem katholischen Friedhof »Auf der Halle« über dem Lennetal im Ortsteil Eiringhausen beigesetzt.

Heute Vormittag nun machte ich einen Abstecher nach Eiringhausen zu Schmitts Grabstelle. Hier fand ich drei weitere Gedenksteine vor: denjenigen an seine Schwester Auguste Schmitt (1891-1992), der leider von einem Kranz weitgehend verdeckt war, denjenigen an seine zweite Frau Duschka (Dusanka) Schmitt-Todorovic (1903-1950) und denjenigen an seine noch vor ihm verstorbene Tochter Anima Louise Schmitt-Otero (1931–1983), die die griechische Inschrift auf dem pentagonal kristallisierten Säulenbasalt entwarf.

»ΚΑΙ ΝΟΜΟΝ ΕΓΝΩ«. Hierin wird Schmitts schon exzessive Fixierung auf den Nomos-Begriff komprimiert. Sprachmagisch ließ er sein Denken um Raum und Recht kreisen. καὶ νόμον ἔγνω: Er kannte das Gesetz. καὶ νόμον ἔγνω: Er kannte den Ort. Seine Grabstelle kenne ich nun auch.

Der Friedhof zu Eiringhausen

Schmitts Grabstelle

Schmitts Grabstein

Schmitts Grabstein

Gedenkstein der Schmitt-Tochter Anima

Gedenkstein von Schmitts zweiter Frau Duschka

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Kollidierende Weißheiten. Gedankenströme zu Lewitscharoff und Blumenberg

Es ist ein warmer Sonntag im Jahr 1982. »Gegen 15 Uhr zog sich Isa weiß an.« So beginnt das kryptisch betitelte Kapitel »Nr. 255431800« von Sibylle Lewitscharoffs im September 2011 erschienenem Roman Blumenberg. Kryptisch ist es allerdings nur für die nächsten 30 Seiten, nach denen der Leser aufgeklärt wird: es handelt sich um Isas Personalausweisnummer. Isa ist Elisabeth Kurz aus Heilbronn, derzeit Studentin in Münster. Doch warum wird sie zur blassen Zahlenreihe entindividualisiert? Der Grund ist schockierend, hängt allerdings mit Farben, Wasser und nicht zuletzt auch mit Metaphern zusammen.

»Alles so weiß« heißt es zu Beginn jenes ominös betitelten Kapitels. In der Tat wird der Leser mit einer absolut weißen Isa konfrontiert: Kleid, Strümpfe, Perlenkette, selbst ihre Haut. Da paßt es ins farbsymbolische Muster, daß sie am Vorabend »[v]ierundzwanzig weiße Lilien, gehüllt in weißes Seidenpapier« am Grünen Weg 30 in Altenberge, dem Wohnort des von ihr vergötterten Philosophen, abgelegt hatte. Das ist weder Eis- noch Blumenberg, zumal das unrein-reine Arrangement seinen Adressaten nie erreicht: es wird gestohlen und läßt die Beteiligten im Dunkeln zurück.

Ist es unerhörte Liebe zu einem unerreichten Mann, die Isa »in ihrem weißen Kleid wie ein Engel, ein Blumenmädchen aus dem Nirgendwo«, stadtauswärts radeln läßt, bis sie auf einer Brücke anhält und sich »engelgleich« in die Tiefe auf die Autobahn stürzt? Ein Schock für den Leser! Doch es kommt, wie es kommen muß – nämlich noch schlimmer: »Der Lastwagen der Firma Zapf war mit mehreren Rädern darüber gerollt, hatte Teile mitgeschleppt, bis er hinter der Brücke zum Stehen gekommen war.« Hier kollidiert also ein LKW mit einem wahrscheinlich schon toten menschlichen Körper, einem weißen, gefallenen Engel, einem Eisberg inmitten des Verkehrsflusses, inmitten kraftvoller Blechlawinen, auseinandergerissen und verstreut in trommelndem Regen.

Ja, der Regen! Daß es an diesem fatalen Sonntag in Lewitscharoffs Münster in Strömen gießt – worauf gleich viermal hingewiesen wird –, daß Isas Kreppkleid ein fließendes ist, daß sie vom Fahrradfahren ins Schwitzen gerät, ja, daß auch Bruce Springsteens »The River«, das »schon zum zweiundzwanzigsten Mal« ertönt (spielt es auf den 22. Mai aus Blumenbergs Textfundstelle an?), zur wässrigen Atmosphäre beiträgt, strapaziert die Hydro-Metaphorik schon gewaltig. »We’d go down to the river / And into the river we’d dive / Oh down to the river we’d ride«.

Acht Monate nach diesem literarischen Selbstmord kommt im Mai 2012 ein Buch über Metaphern aus dem Blumenbergschen Nachlaß heraus: Quellen, Ströme, Eisberge. Bereits der Titel ruft den Autobahnsprung, den Regen, das weiße Blumen(berg)mädchen aus Lewitscharoffs Roman hervor, dem übrigens eine nicht unwichtige Widmung vorangestellt ist: »Für Bettina Blumenberg«, die Tochter des distanzierten Nachtarbeiters. Doch um Metaphern geht es mir nicht. Mir fiel einzig eine eher marginale Zeitungsmeldung auf, die Hans Blumenberg in besagtem Nachlaßband auf Seite 228 anführt. Dort steht:

»In Münster wird eine Studentin am 22. Mai 1980 von einem Bus auf der Busspur angefahren; der Fahrer benimmt sich dabei schlecht, und es gibt Empörung.« Man erfährt zwar nichts über die Kleidung der Verunglückten oder über das Wetter, geschweige denn über die Klamottenfarbe, doch die ›Weißheit‹ wird schon bald indirekt nachgeliefert: »Ein Leserbrief«, so Blumenberg, »möchte dieser [der Empörung] endlich Luft machen und aus dem Alltag die mißliche Behandlung anderer Verkehrsteilnehmer durch Busfahrer an die Öffentlichkeit bringen. Der Einsender schreibt: Hier scheint sich langsam die Spitze eines Eisberges zu zeigen, der schon lange in Münster besteht. (Westfälische Nachrichten, 30. Mai 1980).« Blumenberg kommentiert diesen verunglückten Metapherngebrauch mit den Worten: »Ja, wenn dieser Eisberg schon lange in Münster besteht: Wo ist dann seine Spitze geblieben? Und wie ist es möglich, daß sie sich erst langsam zeigen kann, was eben Spitzen von Eisbergen unmöglich können.«

Isa ist so ein Eisberg. Man hätte es kommen sehen müssen. Das sagt sich so leicht. Hätte es Edward John Smith, der Kapitän der Titanic, nicht auch kommen sehen müssen? Im nachhinein ist man immer schlauer, zumal es Kollisionen gibt, die einen wachrütteln und sensibilisieren. Hier kollidieren gleich mehrere Dinge: Metaphern, Studentinnen, Isa ganz in Unschuldsweiß, der versteckte weiße Eisberg im Regen, auf dem Asphalt (vielleicht von Bus und LKW kaschiert), dessen Bedrohung in den unsichtbaren sieben Achteln liegt.

Wir halten fest: In Münster gibt es Eisberge, die sich langsam zeigen, Eisberge, mit denen man kollidieren kann, und Eisberge, deren philosophisches Werk zu Lebzeiten nur die Spitze dargestellt hat.


Freiheit(en)

Sollte es also eine Freiheit geben, muß sie immer irgendwann an einem unbekannten Ursprung der intentionalen Einheit liegen: die Welt, die ich gewählt habe aus der Unendlichkeit möglicher Welten und durch deren Wahl ich das Selbst bin, das ich bin, ist die einzige Form der Freiheit, von der zu reden sinnvoll ist. (Hans Blumenberg. Quellen, Ströme, Eisberge. Hg. Ulrich von Bülow und Dorit Krusche. Berlin: Suhrkamp, 2012. 188.)

Ich frage mich, wie Entscheidungen, die auf Zwang basieren, in dieses Freiheitsbild passen, denn auch diese stellen eine Auswahl potentieller Welten dar, prägen das Selbst. Leider brechen Blumenbergs Ausführen an dieser Stelle ab. Ende des Nachdenkens oder nur vorübergehendes Pausieren? Es folgen Notizen zu »Husserl. Grundmetaphern des ›Selbstanzeige‹: Wolke / Boden / Quellen / Strom«. Er wäre mit diesem publizierten Stückwerk nicht einverstanden gewesen. Die Herausgeber nahmen sich die Freiheit, zu wählen.

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»What will I think of me the day that I die?«

Passend zur Wahl der Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin, die Spiegel Online als »dritte große Zäsur in der Geschichte der Grünen« bezeichnet, erinnere ich an einen Song, den man als stille Mahnung an die Grundwerte der Grünen hören kann. 

Als ich »Saltwater« erstmals vor etwa 20 Jahren auf MTV gehört und gesehen habe, wußte ich nichts, nichts von Julian Lennon, nichts von seinem Vater oder den Beatles, nichts von dem, was in dem Song thematisiert wird (was auch an meinen zur damaligen Zeit noch als rudimentär zu bezeichnenden Englischkenntnissen lag). Aber mir gefiel die Melodie und das Video faszinierte mich mit seinen visual effects (noch kannte ich den Yosemite Park nicht).

Was mich heute, 2012, verblüfft (oder schockiert), ist die Tatsache, daß sich nichts oder nur wenig an der Situation geändert hat. Noch immer leben wir auf einem kleinen, einem unbedeutenden Felsen, der um eine goldene Sonne kreist (woran sich selbstredend auch in den nächsten 20 Jahren nicht viel ändern dürfte), noch immer erforschen wir unbekannte Winkel unseres Planeten (menschliche Neugier), citius, altius, fortius (der olympische Gedanke, der Sportsphäre enthoben), und noch immer schenken wir den warnenden Stimmen in diesem grenzen- und rücksichtslosen »Streben nach Glück« (was heutzutage – ein pervertierter Epikureismus! – mit dem Streben nach Ruhm, Macht und Geld gleichzusetzen ist) kein Gehör.

Julian Lennon - Saltwater (1991, Official Music Video) »Saltwater«, das im August 1991 auf dem Album Help Yourself erschienen ist, ist Julian Lennons »Imagine«.

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Zeremoniell

Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch. (Zarathustra’s Vorrede 5)

Friedrich und Elisabeth

Das Foto stammt aus der berührenden Serie Der kranke Nietzsche, die Hans Olde zwischen Juni und August 1899 angelegt hat. Es zeigt den teilweise gelähmten, seiner Sprache und seines Geistes beraubten Nietzsche mit seiner Schwester Elisabeth in der »Villa Silberblick« in Weimar gut ein Jahr vor seinem Tod.

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Frappierende Koinzidenz

Beim Öffnen einer neuen Altoids-Dose verblüffte mich der Grad der Zufälligkeit des sogenannten curiously strong fact. Wie sehr doch Pfefferminz und Mondlandung zusammengehören.

ALTOIDS

CURIOUSLY STRONG FACT

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