Isolierter Doppelgeburtstag
Es erscheint nur folgerichtig und symbolisch, daß Sean Lennon, der am heutigen 9. Oktober 45 Jahre alt wird, seinem Vater John, dessen 80. Geburtstag ebenfalls heute zu feiern wäre, nicht nur an selbigen, sondern auch an die ›inselartigen‹ Lebenssituationen der Menschen in der COVID-19-Pandemie erinnert, und zwar mit dem 1970 auf dem Album John Lennon/Plastic Ono Band veröffentlichten Song »Isolation«. Daß der Sohn dabei nicht nur so aussieht wie der Vater, sondern auch so klingt, ist ein berückender Nebeneffekt.
Schadenfreude
Das vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika beliebte Wörterbuch Merriam-Webster’s Collegiate Dictionary verzeichnet für den 2. Oktober einen Anstieg der Zugriffe auf das Lemma »schadenfreude« um 30.500 Prozent! Den Grund dafür sieht das Wörterbuch im positiven COVID-19-Test von US-Präsident Donald Trump und seiner Frau Melania.
»Trending: ›schadenfreude‹.« Merriam-Webster, October 2, 2020, www.merriam-webster.com/news-tren…
It was forty semesters ago today
Am heutigen 1. Oktober jährt sich der Beginn meines Hochschulstudiums zum zwanzigsten Mal: Zum Wintersemester 2000/2001 – Gerhard Schröder war seit zwei Jahren Bundeskanzler, die Terroranschläge des 11. September hatten noch nicht stattgefunden und auf das erste iPhone mußte man noch sieben Jahre warten – startete ich an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit dem Diplomstudiengang Geologie/Paläontologie, bevor ich im Sommersemester 2002 vom Coesfelder Kreuz an den Domplatz, von den Natur- in die Geisteswissenschaften wechselte, hin zur Deutschen Philologie, Allgemeinen Sprachwissenschaft sowie zur Neueren und Neuesten Geschichte auf Magister. (Privat zog ich vom Gievenbecker Nienborgweg, 2000-2009, zur Annenstraße am Südpark, 2009-2010, schließlich in die Von-Einem-Straße vor den Toren Kinderhaus’, 2010-2012.) Grund genug, an diesem runden Jahrestag als Alumnus einen Blick in mein grünes Studienbuch zu werfen und die seinerzeit noch handschriftlich ausgefüllten Belegbögen der einzelnen Semester ins Digitale und Globale zu überführen.
Studienbuch und Ausweis für Studierende
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, September 2020)
- BS = Blockseminar
- HS = Hauptseminar
- Ko = Kolloquium
- (L)K = (Lektüre-)Kurs
- OS = Oberseminar
- PS = Proseminar
- Ü = Übung
- VL = Vorlesung
Wintersemester 2000/2001: Diplomstudium
Wo alles begann: Das Institut für Geologie und Paläontologie der WWU Münster, Corrensstr. 24
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, September 2020)
144204
Allgemeine Geologie – Exogene Dynamik (VL)
Heinrich Bahlburg
Mo-Do, 09:15-10:00, HS 2, IG I
144147
Einführung in die Paläontologie (Allgemeine Paläontologie) (VL)
Friedrich Strauch
Mo-Di, 10:00-11:00, HS 3, IG I
120788
Allgemeine Chemie und Einführung in die anorganische Chemie für Chemiker (Diplom und Lehramt), Lebensmittelchemiker, Pharmazeuten (1. Sem. AAppO) und weitere Naturwissenschaftler (VL)
Franz Ekkehardt Hahn
Mo-Fr, 12:00-13:00, C 1
120630
Theoretische Übungen zur Vorbereitung auf das anorganisch-chemische Praktikum für Biologen und Landschaftsökologen (Diplom) (Ü)
Hans-Dieter Wiemhöfer
Mo 18:00-20:00, C 1
110188
Physik für Naturwissenschaftler I (VL)
Heinrich Franz Arlinghaus
Di, Do, Fr, 08:00-09:00, HS 1, IG I
144132
Übungen zur Einführung in die Paläontologie (Allgemeine Paläontologie) (Ü)
F. Stiller
Do, 10:00-12:00, R. 518, AVZ, Corrensstr. 24
Sommersemester 2001: Diplomstudium
Der erste Übungsschein: »mit Erfolg«
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Juli 2001)
140204
Allgemeine Landschaftsökologie (VL)
Friedrich-Karl Holtmeier
Mo-Do, 08:00-09:00, Hörsaal Robert-Koch-Str. 26
143969
Einführung in die Paläobotanik (VL, Ü)
Hans Kerp
Mo, 14:00-17:00, SR Paläobotanik, Hindenburg-Platz 57
143901
Übungen zur Geologischen Karte (Ü)
Heiko Zumsprekel
Mi, 10:00-12:00, SR G, IG I
144750
Allgemeine Mineralogie (VL, Ü)
Cornelia Schmitt-Riegraf, Jürgen Löns
Mi, 12:00-14:00, Do, 11:00-13:00, Fr. 12:00-14:00, HS 2, IG I
140219
Allgemeine Landschaftsökologie (Ü)
Brauckmann
Do, Robert-Koch-Str. 26
Schriftliche Ausarbeitungen
- Protokoll zu den Geländetagen im westlichen Teutoburgerwald, 14.-16.06.01
Wuchtig: Die Institutsgruppe I in der Wilhelm-Klemm-Str. 10, in der ein Großteil der Veranstaltungen stattfand
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, September 2020)
Wintersemester 2001/2002: Diplomstudium
140423
Allgemeine Hydrogeologie (VL)
Wilhelm G. Coldewey
Mo, 11:00-13:00, HS 3, IG I
141276
Spezielle Mineralogie und Einführung in die Petrologie (VL)
Christian Ballhaus
Mo, 13:00-16:00, SR E, IG I
140208
Einführung in die Tektonik (Tektonik I) (VL, Ü)
Eckard Speetzen
Mi, 10:00-12:00, R. 518, AVZ, Corrensstr. 24
141280
Mineral- und Gesteinsbestimmungen (Ü)
Christian Ballhaus
Fr, 11:00-14:00, SR E, IG I
080??
Einführung in die lateinische Sprache I (Ü)
Gotthard Schmidt
Vierstündig, HS 220, Pferdegasse 3
Sommersemester 2002: Magisterstudium
Neuere deutsche Literaturwissenschaft: Der erste Seminarplan
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, April 2002)
090204
Einführung in das Studium der deutschen Sprachwissenschaft (PS)
Benjamin Stoltenburg
Mo, 10:00-12:00, J 121
080742
Einführung in die lateinische Sprache II (Ü)
Gotthard Schmidt
Mo, 16:00-18:00, S 6; Do, 16:00-18:00, S 2
090075
Kasusphänomene des Deutschen (VL)
Rudolf Schützeichel
Di, 09:00-10:00, J 12
081112
Einführung in das Studium der Alten Geschichte: Reisen in der alten Welt (PS)
Hans-Christian Schneider
Di, 16:00-18:00, F 10; Mi, 12:30 s.t.-14:00, R 232, Fürstenberghaus
091177
Einführung in das Studium der neueren deutschen Literaturwissenschaft (PS)
Ortwin Lämke
Mi, 09:00-11:00, R 20, Fürstenberghaus
097979
Einführung in das Studium der Allgemeinen Sprachwissenschaft II (Ü)
Hartwig Franke
Mi, 14:00-16:00, HS 220, Pferdegasse 3
080871
Geschichte des westlichen Mittelmeerraumes (bis zum Ende des Zweiten Punischen Krieges) (VL)
Norbert Ehrhardt
Do, Fr, 10:00-11:00, R 232, Fürstenberghaus
090018
Einführungsvorlesung für Erst- und Zweitsemester in allen Studiengängen (VL)
S. Günthner, V. Honemann, J. Macha, E. Rolf, J. Splett, H. Kraft
Fr, 14:00-16:00, Audimax, Johannisstr. 12-20
Referate und Seminararbeiten
- Textuntersuchung zu Arno Schmidts »Leviathan oder Die beste der Welten« unter der Fragestellung »Ist der Ich-Protagonist religiös?«
- Rechercheaufgabe: Georg Büchner
- (Zusammen mit Linda Kutt und Alexander Keil) Die Reisen des Apostels Paulus
Wintersemester 2002/2003: Magisterstudium
Ceci n’est pas un baron: Die Statue Freiherr von Fürstenbergs vor dem Fürstenberghaus, in dem ein Großteil der Veranstaltungen stattfand
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, September 2020)
080784
Einführung in die lateinische Sprache III (Ü)
Gotthard Schmidt
Mo, Do, 09:00-11:00, S 2
090102
Rhetorik und Kultur (VL)
Martina Wagner-Egelhaaf
Mo, 16:00-18:00, J 12
097949
Narrativik und Textlinguistik (VL)
Edeltraud Bülow
Di, 12:00-13:00, Institut Bergstr. 29a
080985
Das Reich in der Krise: Deutsche Geschichte von 1250 bis 1350 (VL)
Heike Johanna Mierau
Di, 14:00-16:00, Fürstenberghaus
091295
Heinrich von Kleist (PS)
Ortwin Lämke
Mi, 11:00-13:00, R 029, Fürstenberghaus
097968
Einführung in das Studium der Allgemeinen Sprachwissenschaft I (Ü)
Hartwig Franke
Mi, 14:00-16:00, HS 220, Pferdegasse 3
081192
Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte: Menschen und ihre Umwelt im Mittelalter (PS)
Thomas Scharff
Do, 14:00-16:00, R 32, Georgskommende 14; Fr, 11:00-13:00, R 1, Georgskommende 14
09xxxx
Tutorium zur Einführungsübung Allgemeine Sprachwissenschaft (Ü)
Robert Memering, Nicki Marten
Do, 16:00-18:00, Institut Bergstr. 29a
090299
Einführung in die Analyse der deutschen Gegenwartssprache (PS)
Götz Hindelang
Do, 18:00-20:00, J 122
090011
Einführungsvorlesung für Erstsemester in den Studiengängen SI/SII/Magister (VL)
T. Althaus, V. Honemann, A. Kilcher, L. Köhn, H. Kraft, D. Kremer, E. Ribbat, M. Wagner-Egelhaaf
Fr, 14:00-16:00, Audimax, Johannisstr. 12-20
Referate und Seminararbeiten
- (Zusammen mit Julia Frenking) Moderation: Semiotik (Wellbery); Referat: Das Käthchen von Heilbronn (1810)
- Gustav, Toni und ›die Neger‹ – Über die Farb- und Lichtmetaphorik in Heinrich von Kleists »Die Verlobung in St. Domingo«
- (Zusammen mit Ute Aben) Das mittelalterliche Weltbild – Raumvorstellungen und Vorstellungen von der Erde
Sommersemester 2003: Magisterstudium
»Gender Studies im Alltag.« Titelseite des Kommentierten Vorlesungsverzeichnisses des Instituts für Allgemeine Sprachwissenschaft
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, April 2003)
097990
Einführung in die Beschreibungskonventionen der neueren generativen Syntaxtheorie (PS)
Heinz Alfred Bertz
Mo, 14:00-16:00, Institut Bergstr. 29a
097947
Grundzüge der Pragmalinguistik (VL)
Edeltraud Bülow
Di, 12:00-13:00, Institut Bergstr. 29a
090100
Deutsche Literatur – ein Kanon I (VL)
Ernst Ribbat
Di, 16:00-18:00, Audimax
090388
Einführung in die älteren Sprachstufen des Deutschen (PS)
Hans-Jörg Spitz
Mi, 08:00-10:00, J 121
091370
Albert Ehrenstein (PS)
Andreas Kilcher
Mi, 11:00-13:00, R 029, Fürstenberghaus
081444
Das mittelalterliche Königtum: Rechte, Pflichten, Herrschaftspraxis (K)
Gerd Althoff
Mi, 14:00-16:00, R 1, Georgskommende 14
090115
Jean Paul: Variationen des Romans (VL)
Andreas Kilcher
Do, 09:00-11:00, J 12
081152
Die Zerstörung der Weimarer Demokratie (Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert) (VL)
Ernst Laubach
Do, 11:00-13:00, S 1
097985
Morphologie (PS)
Hartwig Franke
Fr, 09:00-11:00, Institut Bergstr. 29a
Referate und Seminararbeiten
- Albert Ehrenstein: Tubutsch – Kontext und Rezeption
- »Der ewige Jude« – Albert Ehrensteins Ahasver-Figur im Vergleich mit anderen literarischen Adaptionen
- Adjektivflexion der isolierenden, flektierenden, agglutinierenden und inkorporierenden Sprachtypen
Wintersemester 2003/2004: Magisterstudium
»Karl der Große. Fresko im Kreuzgang des Doms von Brixen (Bressanone).« Titelseite des Kommentierten Vorlesungsverzeichnisses des Historischen Seminars
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, September 2003)
081103
Geschichte und Zukunft der Globalisierung (VL)
Stefan Haas
Mo, 16:00-18:00, F 3
090487
Das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht (PS)
Henning von Gadow
Di, 10:00-12:00, J 121
097940
Psycholinguistik und kognitive Linguistik (VL)
Edeltraud Bülow
Di, 12:00-13:00, Institut Bergstr. 29a
090119
Deutsche Literatur – ein Kanon II (VL)
Ernst Ribbat
Di, 16:00-18:00, Audimax
081319
Einführung in das Studium der neueren Geschichte: Die Revolution von 1848 in West und Ost (PS)
Lothar Maier
Di, 18:00-20:00, F 2a; Mi, 11:00-13:00, R 209, Georgskommende 14
097936
Arten und Formen der Deixis (VL)
Clemens-Peter Herbermann
Mi, Do, 10:00-11:00, Institut Bergstr. 29a
090510
Semantik (PS)
Susanne Beckmann
Do, 12:00-14:00, J 120
090104
Die Heidelberger Romantik (VL)
Andreas Kilcher
Do, 14:00-16:00, J 12
090070
Metaphern im Kontext/Kontexte der Metapher (VL)
Eckard Rolf
Do, 18:00-20:00, J 12
098033
Eigennamen und Referenztheorie (PS)
Clemens-Peter Herbermann
Fr, 11:00-13:00, Institut Bergstr. 29a
Referate und Seminararbeiten
- Die Menschenrechte: Erfindung der Frankfurter Paulskirche?
- Die Verarbeitung von Eigennamen (EN) und Gattungsbezeichnungen (GB)
- (Zusammen mit Johannes B. Finke) ReFraming. Eine zusammenfassende, kritische Betrachtung der linguistisch orientierten Frametheorie (unter besonderer Berücksichtigung der Konzeption K.-P. Konerdings)
Sommersemester 2004: Magisterstudium
Titelseite des Kommentierten Vorlesungsverzeichnisses der Institute für Deutsche Philologie I und II, Komparatistik, Niederländische Philologie und Nordische Philologie
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, März 2004)
081575
Geschichte des Films (HS)
Stefan Haas
Mo, 11:00-13:00, R 209, Georgskommende 14
08????
Geschichte der visuellen Kultur am Beispiel des Films (VL)
Stefan Haas
Mo, 16:00-18:00, F 3
090102
Geschichte der deutschen Literatur: Klassik und Romantik (VL)
Detlef Kremer
Di, 10:00-12:00, J 12
097934
Kommunikation und Metakommunikation. Beiträge zu einer Metalinguistik (VL)
Edeltraud Bülow
Di, 12:00-13:00, Institut Bergstr. 29a
090079
Schaubühne der Aufklärung: Theater 1730-1780 (VL)
Thomas Althaus
Mi, 11:00-13:00, J 12
091443
Heiner Müllers Medea Material (HS)
Karl Heinrich Hucke
Do, 09:00-11:00, Studiobühne
090743
Jacques Derrida (LK)
Rebecca Branner
Do, 12:00-14:00, J 120
082423
Grundkurs Theoretische Philosophie II: Einführung in die Erkenntnistheorie (VL)
Oliver R. Scholz
Do, 14:00-16:00, F 3
Referate und Seminararbeiten
- Der »Medea«-Mythos: Herrschaftsstrukturen in den Adaptionen Euripides’ und Müllers
- Ausstattungen eines Mythos: Die Medea Euripides’, Ovids und Senecas im Vergleich
- Die Systematisierung der Konfusion: Surrealistische Tendenzen in »Magical Mystery Tour«
Wintersemester 2004/2005: Magisterstudium
Beinahe kafkaesk: Aufzeichnungen aus der Hebräisch-Stunde
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Oktober 2004)
09????
Hebräisch (Ü/BS)
Hartwig Franke
Mo, 09:00-11:00 (Ü bis 25.11.04, dann BS 06.-08.01.05), Institut Bergstr. 29a
080960
Nordamerika in der europäischen Weltwirtschaft, 17.-20. Jahrhundert (VL)
Georg Fertig
Mo, 16:00-18:00, F 3
090091
Dispositive der Sichtbarkeit (VL)
Detlef Kremer, Martina Wagner-Egelhaaf
Di, 10:00-12:00, J 12
091633
Einführung in die ästhetischen Schriften Walter Benjamins und Theodor W. Adornos (LK)
Renate Werner
Di, 14:00-16:00, F 9
097942
Allgemeine Zeichentheorie und Sprachzeichentheorie und ihre historischen Grundlagen (VL)
Clemens-Peter Herbermann
Mi, Do, Fr, 10:00-11:00, Institut Bergstr. 29a
081325
Widerstand gegen den König im frühen und hohen Mittelalter. Legitimation, Organisationsformen, Konsequenzen (K)
Gerd Althoff
Mi, 14:00-16:00, F 5
091490
Text – Bild – Bewegungsbild (HS)
Detlef Kremer
Do, 11:00-13:00, Studiobühne
090053
Symboltheorien (VL)
Eckard Rolf
Do, 18:00-20:00, J 12
098088
Satzglieder und Satzgliedfunktionen - Zur Informationsstruktur des Satzes (HS)
Clemens-Peter Herbermann
Fr, 11:00-13:00, Institut Bergstr. 29a
Vortrag
Sprache, Gene, Archäologie und die Vorgeschichte Europas
Bernard Comrie
Mi, 08.12.04, 18:00-20:00, J 122
Referate und Seminararbeiten
- Die Tradition der Begriffspaare »Subjekt/Prädikat« sowie »Thema/Rhema« von Hermann Paul bis Karl Boost
- Der medientechnische Wahrnehmungswandel: Über den Einfluss der Fotografie auf die Literatur
- (Zusammen mit Lars Köllner) Roland Barthes: Der lesbare Text und die Lust am Text
- (Zusammen mit Lars Köllner und Stephan Lütke Hüttmann) Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer
Sommersemester 2005: Magisterstudium
Semesterprogramm und Referatsthemen des Hauptseminars »Reformation und Geschlechterverhältnis«
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, April 2005)
091756
Ästhetik des Raums. Raumkonfigurationen in der Literatur seit 1800 und im Film (VL)
Detlef Kremer
Mo, 11:00-13:00, J 12
091737
Kulturtheorien des 20. Jahrhunderts (VL)
Eric Achermann
Mo, 13:00-15:00, J 12
090544
Der Sprachgebrauch in den Medien (HS)
Franz Hundsnurscher
Mo, 18:00-20:00, J 122
081031
Ursprünge der Globalisierung: Die Entstehung der europäischen Weltwirtschaft, ca. 1500-1850 (VL)
Ulrich Pfister
Di, 12:00-14:00, F 2
081926
Lektüre und Interpretation niederrheinischer Quellen der Frühen Neuzeit (Ü)
Johannes Schreiner
Di, 18:00-20:00, R 32, Georgskommende 14
097940
Sprachliche Universalien – Geschichte und Theorie eines linguistischen Forschungszweigs (VL)
Clemens-Peter Herbermann
Mi, 10:00-11:00, Institut Aegidiistr. 5
081600
Reformation und Geschlechterverhältnis (HS)
Barbara Stollberg-Rilinger
Mi, 16:00-18:00, R 104, Fürstenberghaus
081027
Einführung in die Geschichte der Frühen Neuzeit (VL)
Barbara Stollberg-Rilinger
Do, 09:00-11:00, S 1
098086
Universalienforschung zur Semantik und zur sprachlichen Symbolisierung (HS)
Clemens-Peter Herbermann
Do, 11:00-13:00, Institut Aegidiistr. 5
090032
Symboltheorien II (VL)
Eckard Rolf
Do, 18:00-20:00, J 12
Referate und Seminararbeiten
- Die Pressekritik von Karl Kraus: Indexikalisierung und konservative Sprachhygiene
- Was bedeutet blau_? Zur Semantik der Grundfarbwörter als sprachliche Universalie_
- (Zusammen mit Matthias Hahn) Anna Wierzbicka: The meaning of color terms
- (Zusammen mit Evelyne v. Beyme) Das katholische Eherecht des Trienter Konzils
Wintersemester 2005/2006: Magisterstudium
Das Landhaus Rothenberge, in dem nicht nur diskutiert, sondern auch Tischtennis gespielt wurde
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Oktober 2005)
091233
Klassiker des Strukturalismus (Ü)
Eric Achermann
Mo, 16:00-18:00, R 124, Leonardo-Campus
090844
Mediendiskursanalyse (VL)
Ekkehard Felder
Di, 18:00-20:00, R 3, Leonardo-Campus
090940
Sprache und Kultur (VL)
Susanne Günthner
Mi, 12:00-14:00, J 12
091070
Mimesis und Fiktion (VL)
Eric Achermann
Mi, 14:00-16:00, J 12
091090
Einführung in die Texttheorie (historisch) (VL)
Moritz Baßler
Do, 10:00-12:00, J 12
091248
Einführung in die Texttheorie (LK)
Moritz Baßler
Do, 12:00-14:00, F 4
09????
Word & World. Practice and the Foundations of Language (BS)
Eckard Rolf
Mo-Mi, 17.-19.10.05, Landhaus Rothenberge
Referate und Seminararbeiten
Verfassen eines Exposés zur Magisterarbeit
Sommersemester 2006: Magisterstudium
Titelblatt meiner Magisterarbeit: Exemplar des Erstgutachters Detlef Kremer
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Juni 2006)
Keine belegten Veranstaltungen
Abgabe der Magisterarbeit, Juni 2006
Themen der mündlichen Prüfungen, September/Oktober 2006
- Jean Paul: Theorie und Praxis
- Schrift/Text, Bild, Bewegungsbild
- Semiotik (unter besonderer Beachtung der Zeichentheorie Ch. S. Peirce’)
- Eigennamentheorie
- Deixis-Theorie
- Die Revolution von 1848: Frankreich und ›Deutschland‹ im Vergleich
- Die Darstellung des Holocaust im Spielfilm: »Schindlers Liste« und »Das Leben ist schön«
Wintersemester 2006/2007: Magisterstudium
Das Fürstenberghaus am Domplatz 20-22, vom Jesuitengang aus gesehen, in dem damals auch noch die germanistische Institutsbibliothek beheimatet war
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Januar 2007)
Keine belegten Veranstaltungen
Vorbereitung eines Exposés zur Dissertation
Sommersemester 2007: Promotionsaufbaustudium
Studierendenausweis/Semesterticket für das Sommersemester 2007
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Februar 2007)
090772
Positionen der Medientheorie (VL)
Detlef Kremer
Mo, 16:00-18:00, J 12
091620
Ästhetische Selbstreferenz (VL)
Achim Hölter
Di, 10:00-12:00, J 12
090127
Grammatik der deutschen Sprache (Ü)
Götz Hindelang
Do, 12:00-14:00, J 121
090533
Syntax der deutschen Gegenwartssprache (VL)
Eckard Rolf
Do, 16:00-18:00, J 12
091434
Sprachtheorien (VL)
Eckard Rolf
Do, 18:00-20:00, J 12
092134
Thomas Bernhard: Ausgewählte Prosa (BS)
Wolfgang Bender
Mo-Di, 16.-24.07.07, Fürstenberghaus
Referate und Seminararbeiten
- Spazierengehen/Schreibengehen/Lesengehen. Dekonstruktive Lektüre(n) zu Thomas Bernhards Gehen
Wintersemester 2007/2008: Promotionsaufbaustudium
Der 78jährige Jürgen Habermas während seines Vortrags im Hörsaal H 1
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Januar 2008)
097933
Sprachphilosophie und/oder/als Neurophilosophie? (VL)
Edeltraud Bülow
Di, 12:00-13:00, Institut Aegidiistr. 5
092305
Zeichentheorie (OS)
Eric Achermann
Di, 18:00-20:00, SR 1, Fürstenberghaus
084205
Einführung in die Erkenntnistheorie (VL)
Andreas Hüttemann
Mi, 10:00-12:00, PC 7
090556
Klassiker der Weltliteratur. Ihre Rezeption und Wirkung in Deutschland (I) (VL)
Achim Hölter
Mi, 12:00-14:00, PC 7
091969
Zur Beziehung von Text und Bild. Geschichte und Theorie (VL)
Eric Achermann, Tomas Tomasek
Mi, 14:00-16:00, J 12
091476
Sprachtheorien II (VL)
Eckard Rolf
Do, 18:00-20:00, J 12
Vortrag
Die Revitalisierung der Weltreligionen. Herausforderung für ein säkulares Selbstverständnis der Moderne?
Jürgen Habermas
Mi, 30.01.08, 18:00-20:00, H 1
Referate und Seminararbeiten
- (Zusammen mit Evelyne v. Beyme) Charles Sanders Peirce (1839-1914)
Sommersemester 2008: Promotionsaufbaustudium
Auszug aus meinen Mitschriften der Vorlesung »Semiologie, Sprechakttheorie, Grammatikologie« von Eckard Rolf sowie des Vortrags »Roland Barthes. Literarische Szenographien der Gesellschaft« von Marion Bönnighausen, gehalten im Rahmen der Ringvorlesung »In(ter)ventionen. Literatur – Gesellschaft – Politik«
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Mai 2008)
090884
Semiologie, Sprechakttheorie, Grammatikologie (VL)
Eckard Rolf
Do, 18:00-20:00, J 12
084390
Einführung in die Sprachphilosophie (VL)
Rosemarie Rheinwald
Fr, 14:00-16:00, Fürstenberghaus
Referate und Seminararbeiten
Weder noch
Wintersemester 2008/2009: Promotionsaufbaustudium
Zwar nicht der letzte Schrei, dafür jedoch der letzte Schein
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Mai 2009)
098310
Kognitive Linguistik. Grundlagen und Perspektiven (VL)
Edeltraud Bülow
Mo, 09:00-10:00, Institut Aegidiistr. 5
098324
Interdisziplinarität und Multimedialität der kognitiven Linguistik (HS)
Edeltraud Bülow
Mo, 10:00-12:00, Institut Aegidiistr. 5
090979
Klassiker der Weltliteratur. Ihre Rezeption und Wirkung in Deutschland (III) (VL)
Achim Hölter
Mi, 14:00-16:00, F 2
092307
Bedeutungstheorien – Theories of Meaning (VL)
Eckard Rolf
Do, 18:00-20:00, J 12
084795
Mensch und Kultur (VL)
Spree
Fr, 10:00-12:00, S 2
Referate und Seminararbeiten
- Kognitive Semiotik. Versuch einer Beschreibung mentaler Repräsentationen vermittels der zeichentheoretisch-pragmatizistischen Überlegungen Charles Sanders Peirce’
Sommersemester 2009: Promotionsaufbaustudium
Beginn von Jürgen Kaubes Nachruf auf meinen Doktorvater Detlef Kremer, der am 3. Juni 2009 völlig überraschend gestorben ist.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.06.2009, p. 34)
084167
Einführung in die Metaphysik (VL)
Oliver R. Scholz
Do, 16:00-18:00, F 2
091605
Bedeutungstheorien II – Theories of Meaning II (VL)
Eckard Rolf
Do, 18:00-20:00, R 118, Vom-Stein-Haus
Referate und Seminararbeiten
Weder noch
Wintersemester 2009/2010: Promotionsaufbaustudium
Hörsaal im Münsteraner Schloß
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, März 2010)
092131
Doktorandenkolloquium (Ko)
Eckard Rolf
Do, 18:00-20:00, R 010, Vom-Stein-Haus
Vortrag
Language and Social Ontology
John R. Searle
Di, 08.12.09, 20:00-22:00, Audimax
Sommersemester 2010: Promotionsaufbaustudium
Keine belegten Veranstaltungen
Wintersemester 2010/2011: Promotionsaufbaustudium
Im Büro Eckard Rolfs im Vom-Stein-Haus fand der Lektürekurs zu Hans Blumenbergs »Arbeit am Mythos« statt
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, März 2011)
090025
Einführung in die germanistische Literaturwissenschaft (VL)
Eric Achermann
Mo, 16:00-18:00, Fürstenberghaus
09???? (semi-offiziell, im kleinen Kreis)
Hans Blumenbergs Arbeit am Mythos (LK)
Eckard Rolf
Do, R 010, Vom-Stein-Haus
Sommersemester 2011: Promotionsaufbaustudium
Softwareschulungen am ZIV:
Excel I: Einsteigerkurs
Mo, 18.04.11, vierstündig, Einsteinstr. 60
Photoshop I: Einsteigerkurs
Di, 19.04.11, vierstündig, Einsteinstr. 60
Layouten mit InDesign
Mi, Do, 18./19.05.11, achtstündig, Einsteinstr. 60
Wintersemester 2011/2012: Promotionsaufbaustudium
Keine belegten Veranstaltungen
Sommersemester 2012: Promotionsaufbaustudium
Titelblatt meiner Dissertation: Exemplar der Zweitgutachterin Cornelia Blasberg
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Juni 2012)
Keine belegten Veranstaltungen
Einreichung der Dissertation
Wintersemester 2012/2013: Promotionsaufbaustudium
Keine belegten Veranstaltungen
Disputatio
Eric Achermann, Cornelia Blasberg, Klaus-Michael Köpcke
Do, 06.12.12, R 155, Vom-Stein-Haus
Die Bürde der Frühpromovierten
Zu seinem 100. Geburtstag im Jahre 2000 sprach Bernd H. Stappert mit dem Philosophen und Jubilar Hans-Georg Gadamer. Auf die Frage: »Hat Ihr Vater denn noch miterlebt, wie Sie, an sich doch sehr früh, als Zweiundzwanzigjähriger, schon promovierten?«, antwortete Gadamer:
»Ja, natürlich, er ist mit, kurz vor meiner Habilitation ist er gestorben. Aber wissen Sie, eine solche Habilitation [Promotion, NSE]
mit zweiundzwanzig Jahren ist eine Kinderei, eigentlich doch die Schuld der Lehrer, denn daß das nichts taugt, ist doch klar, was man da macht und was man da kann.«
Diese lapidare Äußerung, dieses kritische Urteil Paul Natorps und Nicolai Hartmanns gegenüber, bei denen Gadamer mit der 127 Blatt umfassenden Arbeit Das Wesen der Lust nach den platonischen Dialogen promoviert worden war, erinnerte mich an eine Äußerung des damaligen Direktors des Instituts für Allgemeine Sprachwissenschaft der WWU Münster, Clemens-Peter Herbermann (1941-2011). In seiner Vorlesung »Allgemeine Zeichentheorie und Sprachzeichentheorie und ihre historischen Grundlagen« im Wintersemester 2004/2005 urteilte Herbermann über die Dissertationsschrift des Philosophen Johann Christoph Hoffbauer (1766-1827), mit der er sich zugleich habilitierte, Tentamina semiologica, si ve quaedam generalem theoriam signorum spectantia, daß diese »nicht sonderlich bedeutsam« sei und daß sie »das Niveau einer lateinisch verfaßten Seminararbeit« aufweise. (Mitschrift NSE, 28. Oktober 2004)
Hoffbauer ist zum Zeitpunkt seiner Promotion/Habilitation dreiundzwanzig Jahre alt gewesen.
»Aus den Archiven: Hans-Georg Gadamer. Von der Kunst zu verstehen.« Deutschlandfunk: Sein und Streit. Das Philosophiemagazin, 6. September 2020, 11:41-12:03, http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2020/09/06/aus_den_archiven_hans_georg_gadamer_von_der_kunst_zu_drk_20200906_1322_62c05050.mp3.
Jenseitige Lektüre
In der bekannten und populären Rubrik »By the Book« der New York Times stand kürzlich das inzwischen achtzigjährige Ex-Monty-Python-Mitglied John »silly walk« Cleese Rede und Antwort. Auf die Frage, wie er seine Bücher ordnen würde, antwortete Cleese: »Gar nicht. Ich habe Bücher, die über den ganzen Planeten verstreut sind, wie meine Ex-Frauen. Wenn ich sterbe, lasse ich alle ungelesenen mit mir begraben. Mein Grab wird ›Mount Cleese‹ heißen.«
Der globalisierte Leser ist zugleich ein globalisierter Liebhaber, der das Ungelesene mit ins Jenseits nimmt. Kurioserweise existiert bereits seit 2007 ein Mount Cleese: Die neuseeländische Stadt Palmerston North benannte damals eine Mülldeponie nach dem britischen Komiker als Reaktion auf dessen Äußerung, Palmerston North sei »die Selbstmordhauptstadt Neuseelands«. Cleese riet in einem Podcast: »Wenn Sie sich umbringen wollen, aber nicht den Mut dazu haben, denke ich, daß ein Besuch in Palmerston North den Zweck erfüllen wird.«
»John Cleese Intends to Have His Unread Books Buried With Him.« The New York Times, Sept. 3, 2020, www.nytimes.com/2020/09/0…
»Mt. Cleese.« Atlas Obscura, www.atlasobscura.com/places/mt…
Alex und Amina
Rüdiger Zill zitiert in seiner großen Blumenberg-Biographie aus einem Brief vom 20. August 1948, den der damals achtundzwanzigjährige ›absolute Leser‹ an seinen Doktorvater Ludwig Landgrebe richtete, dessen Assistent in Kiel er werden sollte: Blumenberg schreibt, er sei »voll ausgenutzt, da ich nun neben der philosophischen Arbeit auch noch Kurzgeschichten, Glossen und ähnliches zu produzieren habe, wobei mir unser Hund seinen Namen als Pseudonym herleihen mußte.« Da es sich bei diesem Hund um einen Collie handelte, der auf den Namen Axel hörte, publizierte Blumenberg seine Artikel unter dem Nom de Plume Axel Colly.
Franz Josef Wetz, der noch zu Lebzeiten Blumenbergs eine Einführung in das umfangreiche Werk des Metaphorologen vorgelegt hat, die inzwischen in der fünften Auflage erschienen ist, scheint mit dem kyonischen Pseudonym, das sich der frisch Promovierte Ende der vierziger Jahre gegeben hatte, auf Kriegsfuß zu stehen: So findet sich in Wetz’ Essay »Gelehrte Notwehr« zu Blumenbergs im März 2020 in Reclams Reihe »Was bedeutet das alles?« erschienenem Aufsatz Nachahmung der Natur die folgende Passage: »Weniger bekannt sind seine [Blumenbergs]
Tätigkeiten als Feuilletonist zwischen 1952 und 1955. In dieser Zeit schrieb er unter dem Pseudonym ›Alex [sic!]
Colly‹ eine Reihe ernster und launiger Glossen, Essays und Rezensionen für die Düsseldorfer und Bremer Nachrichten – und ohne Decknamen gelegentlich auch für die Süddeutsche Zeitung. Wohl um den Ruf des seriösen Wissenschaftlers nicht zu gefährden, entschied er sich damals zu dem erwähnten Pseudonym und wählte den Namen seines Hundes Alex [sic!]
, einem Collie.«
Franz Josef Wetz’ falscher Hund in seinem Reclam-Essay
Das zweimalige Auftreten des falschen Namens »Alex« auf engstem Raum läßt einen Flüchtigkeitsfehler im Sinne eines Buchstabendrehers unwahrscheinlich erscheinen. Leider hat der an der PH Schwäbisch Gmünd lehrende Franz Josef Wetz diesen Fehler in einem kurzen Portrait zum hundertsten Geburtstag Hans Blumenbergs reproduziert. So findet sich in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift Information Philosophie eine nahezu identische Textstelle – inklusive falschem Hund: »Allerdings verfasste er [Blumenberg]
auch eine Menge leicht verständlicher Texte. Schon in der Zeit zwischen 1952 und 1955 schrieb er kurioserweise unter dem Pseudonym Alex [sic!]
Colly eine Reihe ernster und launiger Glossen und Essais für die Düsseldorfer und Bremer Nachrichten. Wohl um seinen Ruf des seriösen Wissenschaftlers nicht zu gefährden, entschied er sich damals zum Pseudonym und wählte witzigerweise hierfür den Namen seines Hundes Alex [sic!]
, der ein Collie war.« Offensichtlich hat Alex bei Wetz Methode!
Ein ähnlicher, potentieller Buchstabendreher in einem Namen taucht in der aktuellen Herbstausgabe der Zeitschrift für Ideengeschichte auf. Der Berliner Historiker Jost Philipp Klenner spricht zu Beginn seiner lesenswerten ikonographischen Betrachtung maritimer Energien gleich zweimal von Carl Schmitts Tochter »Amina« [sic!]
. Daß Schmitt seine erstmals 1942 erschienene Erzählung Land und Meer seiner damals elfjährigen Tochter Anima gewidmet hat, belegen die kursiven Majuskeln eindrucksvoll.
Carl Schmitts Widmung
Reinhard Mehring erklärt: »Anima ist die lateinische Psyche in der polysemantischen Bedeutung von luftigem Atem, Seele, Geist. In der Psychoanalyse C. G. Jungs, die Schmitt durch Lilly von Schnitzler kannte, bezeichnet sie einen komplementären weiblichen Aspekt des Animus. Anima war eine gute Seele des Vaters.« Die von Klenner verwendete anagrammatische Form »Amina« hingegen war der Name der Mutter des Propheten Mohammed, die Frau, ›der man Vertrauen schenkt‹. An Schmitts Tochter, die im Alter von 51 Jahren der Leukämie erlag, erinnert ein Gedenkstein auf dem Grab ihres Vaters in Eiringhausen, das ich im Herbst 2012 besucht habe. Dort steht – ebenfalls in Majuskeln – geschrieben: »IN MEMORIAM / ANIMA / SCHMITT OTERO / PATRI ANTEVERTENS«.
In Saul A. Kripkes ›Kausaler Theorie der Eigennamen‹ heißt es: »Sagen wir, es wird jemand geboren, ein Baby; seine Eltern rufen es mit einem bestimmten Namen. Sie reden mit ihren Freunden über es. Andere Leute kommen mit ihm zusammen. Durch verschiedene Arten von Rede wird der Name von Glied zu Glied verbreitet wie durch eine Kette.« Diese Kommunikationskette wurde durch »Alex« und »Amina« zerstört, und nicht nur das: Während Franz Josef Wetz nicht auf den Hund kommt, raubt Jost Philipp Klenner Schmitts Tochter die Seele!
Rüdiger Zill. Der absolute Leser. Hans Blumenberg – Eine intellektuelle Biographie. Suhrkamp, 2020, p. 157.
Franz Josef Wetz. »Gelehrte Notwehr. Blumenberg – der unermüdliche Kopfarbeiter.« Essay in Nachahmung der Natur. Zur Vorgeschichte der Idee des schöpferischen Menschen, von Hans Blumenberg. Reclam, 2020, pp. 75-95, hier p. 80.
Franz Josef Wetz. »Arbeit am Mythos: Hans Blumenberg zu seinem 100. Geburtstag.« Information Philosophie, Heft 2/2020, pp. 34-41, hier p. 40.
Jost Philipp Klenner. »Maritime Energien. Eine ikonographische Betrachtung.« Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft XIV/3, Herbst 2020, pp. 67-84, hier pp. 67-8.
Carl Schmitt. Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung. 10. Aufl., Klett-Cotta, 2020.
Reinhard Mehring. »Eine Tochter ist das ganz andere.« Die junge Anima Schmitt (1931-1983). Herausgegeben im Auftrag der Carl-Schmitt-Gesellschaft e. V. von Gerd Giesler und Ernst Hüsmert, 2012, pp. 3, 19. Carl Schmitt Opuscula. Plettenberger Miniaturen, 5.
Saul A. Kripke. Name und Notwendigkeit. Übersetzt von Ursula Wolf. Suhrkamp, 1981, p. 107.
Lektoratsbrevier
Erst kürzlich erwarb ich die von Suhrkamps Cheflektor Raimund Fellinger 2018 zusammengestellten Polyloquien Peter Sloterdijks, ein bündiges Best-of von Texten des »merkwürdige[n]
Bastard[s]
« aus Karlsruhe. Das Besondere an diesem Brevier ist weder die Themenvielfalt noch die Neologismendichte; atemberaubend ist das Versagen des Lektorats!
Vor allem die unter dem Titel »Literaturhistoriker« abgedruckte Passage versammelt auf gerade einmal elf Seiten acht Fehler, darunter so Kurioses wie »beargwôhnten«, »irnpliziert«, »Srufe« oder »urid«. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als wäre dieses Konvolut in aller Schnelle zusammegestoppelt und fahrlässig eingescannt worden. Für ein Haus wie Suhrkamp und den so beschlagenen, erst vor drei Monaten unerwartet verstorbenen Fellinger ein Armutszeugnis.
Peter Sloterdijk. Polyloquien. Ein Brevier. Zusammengestellt und mit einer Gebrauchsanweisung versehen von Raimund Fellinger. Suhrkamp, 2018, pp. 73, 16, 18, 25.
Impressionen aus Frohnhausen
Sprechende Altpapiercontainer: Bundespolitische Statements
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Juli 2020)
Strangers passing in the street
By chance two separate glances meet
And I am you and what I see is me
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Juli 2020)
Sprechende Hauswände: Lokalpolitische Imperative
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Juli 2020)
Huysmans revisité
Als ich heute Morgen im Deutschlandfunk ein Gespräch Gisa Funcks mit Hartmut Sommer hörte, der Joris-Karl Huysmans’ 1906 erschienenes, letztes Werk Lourdes. Mystik und Massen erstmals ins Deutsche übertragen hat, erinnerte ich mich, daß ich im Frühjahr 2004 für einen Blog, den ich von 2003 bis 2008 mit zwei Freunden betrieb, eine kleine Anzeige zu Huysmans’ Roman A Rebours geschrieben hatte. Eine schnelle Recherche in meinem Archiv förderte diese Kürzestrezension zutage, die ich folgend originalgetreu und mit der damals verwendeten Grafikdatei des Buchcovers wiedergebe:
Da die Frau gleichwohl zuweilen am Haus entlanggehen mußte, um einen Schuppen zu erreichen, in dem das Holz aufbewahrt wurde, wünschte er, daß ihr Schatten, wenn sie an den Scheiben seiner Fenster vorüberkam, nicht feindlich wirke, und er ließ ihr eine Tracht aus grober flämischer Ripsseide fertigen, mit weißer Haube und weiter, tief herabreichender schwarzer Kapuze, wie sie in Gent noch die Frauen des Beginenhofs tragen. Der Schatten dieser Kopfbedeckung, der in der Dämmerung an ihm vorüberging, gab ihm das Gefühl, sich in einem Kloster zu befinden, gemahnte ihn an jene stummen und frommen Dörfer, jene toten Viertel, die in einer Ecke einer tätigen und lebhaften Stadt eingeschlossen und vergraben sind. (Huysmans 1992: 47)
»Lebst du noch oder wohnst du schon?« Allen, die sich schon mal mit dem Gedanken beschäftigt haben, das Leben eines exzentrischen Dandys in der Abgeschiedenheit eines kleinen Landhauses zu führen (und, seien wir ehrlich, wer von uns hat noch nie darüber nachgedacht?), sei Huysmans’ (1848-1907) bahnbrechender Roman wärmstens ans Herz gelegt. Im Jahre 1884 erschienen, zählt »A Rebours«, so der Originaltitel, zu den »Hauptwerke[n]
der literarischen Dekadenz des Fin de siècle« (Reclam).
Des Esseintes, misanthropischer Hypochonder, verlässt Paris und errichtet in Fontenay sein eignes Universum aus Kunst (Moreau, El Greco …), Literatur (Balzac, Poe, antike und mittelalterliche Dichter …) Architektur, Musik, Botanik (»Er war immer ein Blumennarr gewesen, […]
«, 115) und Chemie. Dies wird auf 250 Seiten in unglaublicher Detailverliebtheit geschildert. Die Idee, den Panzer einer Schildkröte golden zu überziehen, ihn mit den kostbarsten Mineralien zu ornamentieren, damit er in ein sich bewegendes Wechselspiel mit einem glänzenden Orientteppich treten könne (vgl. 70ff.), mutet schon befremdlich an und zeugt von der ungeheuren Phantasie Huysmans’.
Huysmans, Joris-Karl (1992): Gegen den Strich. Stuttgart: Reclam.
Summa summarum ist »Gegen den Strich« ein köstliches, wenn auch nicht ganz leicht zu lesendes Buch, das nicht nur reale Zeitgenossen, sondern eventuell auch Wildes Dorian Gray »vergiftet« hat [vgl. hierzu Wilde, Oscar (1992): Das Bildnis des Dorian Gray. Stuttgart: Reclam, 175ff. u. 314f.]
.
© NiWo 2004
Der Unlöwe von Münster
Hans Blumenberg zum 100. Geburtstag
Als der dreizehnjährige Hans Blumenberg, Schüler des Lübecker Elite-Gymnasiums Katharineum, am 28. Oktober 1933 in Begleitung seines Vaters erstmals Münster besuchte, und zwar anläßlich der Bischofsweihe Clemens August Graf von Galens, konnte er nicht wissen, daß auch er einst in der Stadt des Westfälischen Friedens eine löwenhafte Existenz führen würde. Während von Galen den Beinamen »Löwe von Münster« insbesondere aufgrund dreier Predigten erhielt, in denen er vehement und mutig Kritik an der menschenverachtenden Nazi-Ideologie, der Rassenlehre und Euthanasie, übte, lag das Großkatzenartige Blumenbergs weniger in der Wildheit oder Gefährlichkeit, die den König der Tiere auszeichnet, als vielmehr in der souveränen Ruhe, mit der der in seine Höhle zurückgezogene Denkarbeiter nachts auf Geistesbeutezug ging: »Wer besser denkt«, so Blumenberg in einer Vignette über Löwen, »fängt mehr.« [Weiterlesen auf der Freitag]
Idiolekt
»Man könnte«, erklärt Felix Heidenreich in seinem empfehlenswerten, Anfang Mai erschienenen Großessay Politische Metaphorologie, »an einzelnen Abschnitten seiner [Hans Blumenbergs]
Texte zeigen, wie er mit literarischer Finesse einen Spannungsbogen aufbaut und am Ende eines Absatzes wie mit einer Coda schließt: Lange, bisweilen verschnörkelte Hypotaxen enden nicht selten mit einem sentenzenhaften Fazit.« (65) Heidenreich selbst neigt weder zu komplizierten Sätzen noch bringt er seine Gedanken mit einem Aper çu auf den Punkt; er zelebriert vielmehr das überraschende Abdriften ins Englische, unklar, ob dieses Manöver eine tiefere Funktion erfüllen oder schlicht einen cool klingenden Manierismus bedienen soll, der allerdings oftmals awkward daherkommt: Ausdrücke wie out of the blue (9), whatever helps (10), more of the same (35), get over it! (51), and that’s it (91) oder view from nowhere (107) stehen exklamativ und scheinbar unmotiviert neben vertrauten griechischen und lateinischen Termini technici sowie vermeintlichen Fachbegriffen des Englischen wie muddling through (43), pole-drift (46), chandlerisms (46), cognitive shortcuts (47), empowerment (49), public understanding of science (105), exceptionalism (109) oder cliffhanger (110).
Bei einem seiner anglizistischen Ausflüge wurde ich besonders hellhörig: »Es ginge«, schreibt Heidenreich mit Bezug auf George Lakoffs und Mark Johnsons 1980 erschienener Studie Metaphors We Live By, »dann nicht nur um metaphors we live by, sondern um metaphors we kill and die for – um es mit John Lennon zu sagen.« (81) Nein, John Lennon hat »es« nicht so gesagt! Weder hat er jemals das Wort Metapher in seinen Liedtexten verwendet – obschon er es sicherlich in »Give Peace A Chance« (Ev’rybody’s talking ’bout metaphors…) oder »God« (I don’t believe in metaphors…) hätte tun können – noch hat er von »kill and die for« gesprochen. In »Imagine« heißt es in der zweiten Strophe: »Nothing to kill or die for« – Lennons Konjunktion bietet dem Adressaten eine Alternative; in Heidenreichs Version ist man zum Töten und Sterben verdammt.
Diese kleine musikhistorische Ungenauigkeit macht Heidenreich mit seinen Ausführungen über die deutsche Band Tocotronic wieder wett, der er »eine[]
erschreckend gründliche[]
, disziplinierte[]
und perfektionsorientierte[]
Maloche am Mythos« (117) attestiert, insofern der Kärrnerarbeit – das Lektorat hätte die »Kernerarbeit« (104) unbedingt korrigieren müssen – der akademischen Philosophie ähnelt.
Felix Heidenreich. Politische Metaphorologie. Hans Blumenberg heute. Metzler/Springer, 2020.
Nachdenklichkeit und Corona-Krise
Ab heute treten Lockerungen der im Zuge der Corona-Pandemie verhängten Beschränkungen bei Schul-, Gottesdienst- und Geschäftsbesuchen in Kraft. So dürfen nicht nur Spielplätze, Museen oder Zoos wieder öffnen, auch der Gang zu Friseursalons, von denen es in Deutschland gut 80.000 gibt, ist nach sechs Wochen wieder erlaubt – selbstredend unter strengen Hygienevorschriften. Konnte man bis Mitte März noch selbstverständlich zum Friseur gehen, so wurde der Alltag, das sogenannte ›normale Leben‹, urplötzlich durch eine globale Gesundheitskrise aus den Angeln gehoben und in Frage gestellt, wodurch auch das Selbstverständliche erschüttert wurde.
Ein Bonmot des Philosophen Hans Blumenberg, mit dem dieser seine 1980 gehaltene Dankrede zur Verleihung des Sigmund-Freud-Preises für wissenschaftliche Prosa beschließt, und das seit 2006 eine Gedenktafel am Geburtshaus Blumenbergs in der Lübecker Hüxstraße 17 ziert, lautet: »Nachdenklichkeit heißt: Es bleibt nicht alles so selbstverständlich, wie es war.« Man könnte nun problemlos diese ›Nachdenklichkeit‹ durch ›Krise‹, speziell durch ›Corona-Krise‹ ersetzen, die als eine global auftretende Ausnahmesituation der Definition immenses Gewicht verleiht: Corona-Krise heißt: Es bleibt nicht alles so selbstverständlich, wie es war.
Die Pandemie verdeutlicht nicht nur die Fragilität des Systems; sie zeigt uns auch unsere nicht minder fragilen Selbstverständlichkeiten auf. Unsere Gesundheit wird uns erst in der Krankheit bewußt. Ein Muskel, von dessen Existenz wir rein gar nichts wissen, drängt sich erst ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit, wenn er im Zuge alltäglicher Bewegungen schmerzt. Die heute wiedereröffnenden Friseursalons, die wir als selbstverständliche Servicepunkte in unser aller Leben zur Kenntnis genommen und dadurch nicht weiter beachtet hatten, lassen uns die Auswirkungen der Krise am eigenen Leibe, genauer: an den eigenen Haaren erfahren.
Das einst Selbstverständliche, das uns Orientierung und Sicherheit gegeben hatte, beginnt schon jetzt wie ein flüchtiger Traum zu wirken, und es wird uns nach der Corona-Krise mehr denn je als suspekt erscheinen. Die Pandemie katapultiert uns nicht nur aus den Friseurstühlen hinaus, sondern gerade auch aus unseren Selbstverständlichkeiten, und zwar mit einer längst überwunden geglaubten Effektivität, Radikalität und Ungewißheit. Doch Krise und Nachdenklichkeit eröffnen uns Spielräume, kreative Orte, an denen wir uns ausprobieren, Alternativen entwickeln und Fragen stellen können, auf die wir noch keine Antwort wissen müssen.
Blumenberg definiert in seiner Rede den Menschen als »das Wesen, das zögert«. Nun zwingt uns die aktuelle Situation eine Pause auf, läßt uns zögern und wirft uns dadurch auf unser Wesenhaftes zurück, macht uns unsere Wesenhaftigkeit als Distanzgeschöpf bewußt. Es täte uns daher allen gut, dieses neu oder wiederentdeckte Selbstbild festzuhalten und die in der Corona-Krise erlernten Verhaltensweisen auch in Zukunft anzuwenden, zumindest jedoch sich ihrer zu erinnern, wenn COVID-19 wie selbstverständlich beherrschbar geworden ist.
»Diese neuen Regeln gelten von heute an.« Süddeutsche Zeitung, 4. Mai 2020, www.sueddeutsche.de/politik/c…
Philipp Stoellger. »Kulissenkunst des Todes. Zum Ursprung des Bildes aus dem Tod.« Performanzen des Todes. Neue Bestattungskultur und kirchliche Wahrnehmung. Herausgegeben von Thomas Klie. Kohlhammer, 2008, pp. 15-40, hier p. 16.
Hans Blumenberg. »Nachdenklichkeit.« Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch 1980. II. Lieferung. Lambert Schneider, 1981, pp. 57-61, hier pp. 57, 61.
Aufgeschobenes Ende
Der Zeitpunkt ist nah, wo du alles vergessen hast, und nahe der Zeitpunkt, wo alle dich vergessen haben. (Marc Aurel. Selbstbetrachtungen VII,21)
In den letzten Jahren hat sich eine gewisse Privattradition etabliert: An jedem Karfreitag nehme ich mir gut zweieinhalb Stunden Zeit, um mir Johann Sebastian Bachs am 11. April 1727 in der Leipziger Thomaskirche uraufgeführte Matthäuspassion(BWV 244) anzuhören, und zwar die 1989 veröffentlichte Interpretation der English Baroque Soloists, des Monteverdi Choir sowie des London Oratory Junior Choir unter dem Dirigat John Eliot Gardiners.
In diesem Jahr werde ich von meiner musikalischen Tradition abweichen, denn der Zufall will es, daß sich am heutigen Karfreitag, an dem Christen in aller Welt des Todes Jesu Christi gedenken, die offizielle Trennung der Beatles zum fünfzigsten Male jährt. Damals, am 10. April 1970, genau acht Jahre nach dem Tod des »fünften Beatle« Stuart Sutcliffe, lag Ostern schon zwei Wochen zurück; die Auferstehung hatte bereits stattgefunden; das Weiter- und Nachleben begann.
Bachs Oratorium weicht Abbey Road, dem letzten Album, das die Beatles gemeinsam aufgenommen haben. Dem voraus ging ein schleichendes Zerbrechen der Liverpooler Band, ein langsames Auseinanderdriften ihrer Mitglieder John, Paul, George und Ringo, was schon im Frühjahr 1967 während der Aufnahmen zu Sgt. Pepper spür- und schließlich mit dem Engagement Allen Kleins als Manager und John Lennons interner Äußerung im September 1969, die Gruppe zu verlassen, greifbar wurde. Paul McCartney nutzte schließlich sein erstes Solo-Album, um das Ende der Beatles mit einem semi-offiziellen Statement öffentlich zu machen.
Titelseite des Daily Mirror vom 10. April 1970, via Beatles Bible
Unsterblichkeit steht nicht jedem; die meisten werden von ihr überfordert. Den Beatles ist längst immortalitas gewiß; ihr Ende wird aufgeschoben. Denn heute, fünfzig Jahre nach diesem musikhistorischen Erdbeben, sind die Beatles präsenter und lebendiger denn je: Bei Streaming-Diensten kann ihre Musik rund um die Uhr und überall gehört werden; die offiziellen Social-Media-Kanäle versorgen alte und neue Fans mit bekanntem und unbekanntem Material; auf Youtube finden sich unzählige Stunden Filmmaterial, Interviews, Dokumentationen etc. pp. Ihre Musik und auch ihre Leben sind fest im kulturellen Gedächtnis verwurzelt, so daß man jederzeit eine Zeile zitieren, eine Melodie summen oder eine Anekdote erzählen kann.
Eine dieser Anekdoten ist von Paul McCartney in der wuchtigen, im Jahre 2000 erschienenen Anthology überliefert: Als die Beatles im Frühjahr 1968 für mehrere Wochen im nordindischen Rishikesh waren, um Kursen in Transzendentaler Meditation im Ashram des Maharishi Mahesh Yogi beizuwohnen, ereignete sich das Folgende: »Maharishi hielt sehr viel von moderner Technik«, so McCartney, »weil er meinte, dass sie ihm helfen würde, auf der ganzen Welt bekannt zu werden und seine Botschaft schneller zu verbreiten. Einmal musste er nach New-Delhi, und da kam ein Hubschrauber rüber zum Camp und landete unten am Fluss. Wir sind alle in unseren Kaftanen runtergestiefelt, und dann hieß es: ›Einer von euch kann einen kurzen Flug mit Maharishi machen. Wer soll’s sein?‹ Natürlich war es John. Hinterher habe ich ihn gefragt: ›Warum warst du so scharf drauf, mit Maharishi zu fliegen?‹ – ›Ehrlich gesagt‹‚ meinte er, ›dachte ich, er würde mir vielleicht die ANTWORT stecken.‹ Das war typisch John!«
Vielleicht ist ja genau dies die einzig wahre Antwort auf die Frage, warum wir so fasziniert sind von den Beatles: Weil wir hoffen, sie würden es uns verraten.
Warnhinweise
Bereits im Frühjahr 2014 berichtete die New York Times, daß Studenten an US-Hochschulen sogenannte »trigger warnings« forderten, die auf Materialen appliziert werden sollten – etwa Bücher, Filme, Kunstwerke –, die »might upset them [the students]
or, as some students assert, cause symptoms of post-traumatic stress disorder in victims of rape or in war veterans.« Zu den Büchern, die mit einem solchen Warnhinweis versehen werden sollten »gehören [unter anderem]
Shakespeares ›The Merchant of Venice‹ (enthält Antisemitismus) und Virginia Woolfs ›Mrs. Dalloway‹ (spricht Selbstmord an).«
An diese polarisierende Diskussion mußte ich denken, als ich kürzlich die auf Philip K. Dicks 1962 publiziertem dystopischen Roman basierende Serie The Man in the High Castle schaute. In Episode 2 der vierten und letzten Staffel bekommt man ein besonders eindrückliches, erschreckendes Beispiel eines ultimativen Warnhinweises in Form eines Bücherverbots präsentiert. Die Szene spielt in einem Klassenzimmer im vom Deutschen Reich besetzten New York City der 1960er Jahre.
Die Lehrerin Mrs. Vick referiert: »In Shakespears Kaufmann von Venedig ist der Hauptantagonist ein erbarmungsloser jüdischer Geldverleiher namens Shylock. Dieser Mann verlangt ein Pfund Fleisch, und zwar Menschenfleisch als Sicherheit für ein Darlehen. Mit Shylock dramatisiert Shakespeare die wahre Natur des Juden: böse, betrügerisch und gierig.« Eine Schülerin namens Tracy meldet sich, steht auf und merkt an: »Shylock sagt im dritten Akt: ›Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?‹« Mrs. Vick reagiert irritiert mit einem: »Ja und?«, woraufhin Tracy mit einem bemerkenswerten, ja atemberaubenden Gedankengang Shakespeare auf den Kopf stellt: »Meint dieser Autor damit, daß Juden Menschen sind?« Die Lehrerin denkt nach und gibt ein wenig überrascht zu: »So hab ich das nie betrachtet.« Und Tracy fügt, subtil an das Menschenbild der Nazis gemahnend, an: »Wir sollten das nicht lesen.« Die Schüler tauschen fragende Blicke aus, Flüstern entsteht. Leicht stotternd und sichtlich verängstigt erwidert Mrs. Vick: »Danke für den Hinweis, Tracy. Ich glaube, du hast recht. Ich werde es im Lehrerkollegium besprechen und wir sortieren das aus. Das tun wir.«
Mit einem zufriedenen Lächeln setzt sich Tracy wieder; ihrem Warnhinweis wurde prompt und unkompliziert entsprochen.
Jennifer Medina. »Warning: The Literary Canon Could Make Students Squirm.« The New York Times, May 17, 2014, https://www.nytimes.com/2014/05/18/us/warning-the-literary-canon-could-make-students-squirm.html.
»Der Anschlag.« The Man in the High Castle, Staffel 4, Episode 2, Amazon Studios, Scott Free Productions, 2019, 30:38-31:37.
Schwarze Maoisten
In der aktuellen Ausgabe der New York Review of Books stoße ich in einer Besprechung zweier Neuerscheinungen über Mao Zedong auf die folgende Passage, die ich unkommentiert und unübersetzt stehen lasse, stehen lassen muß:
»When asked why he kept a poster of Mao on his apartment wall, Eldridge Cleaver, another Black Panther leader, was more blunt: ›Because Mao Zedong is the baddest motherfucker on planet earth.‹«
Howard W. French. »Mao’s Shadow.« Rezension zu Maoism: A Global History, von Julia Lovell sowie China’s New Red Guards: The Return of Radicalism and the Rebirth of Mao Zedong, von Jude Blanchette. The New York Review of Books, vol. LXVII, no. 4, March 12, 2020, pp. 18-20, hier p. 19.
Erinnerungsarbeit am Mythos
Zum 100. Geburtstag des Philosophen Hans Blumenberg legt Uwe Wolff eine ganz persönliche Hommage an seinen Lehrer vor
Schließlich geht nicht alles, was einer vom anderen weiß, in die diesem zukommenden Äußerungen ein; vielleicht nur ein geringer Bruchteil.
— Hans Blumenberg
Wir halten es nur aus, Geschichte zu haben und auf ihr zu insistieren, weil wir sie nicht verstehen. Mißverständnis – auch das ›fruchtbare‹ trostvoll genannt – ist der Modus, in dem wir mit irgend etwas sind, was wir nicht selbst sein können.
— Hans Blumenberg
(haha!)
— Hans Blumenberg
Erinnern kann man sich nur an etwas, das einem widerfahren, oder an jemanden, der einem begegnet ist. Es gibt kein Erinnern an nie Erlebtes oder längst Vergangenes. Erinnern verlangt Kontakt, Existenz, Interaktion. Nur der Zeitgenosse kann sich des Zeitgenossen, des Zeitgenössischen erinnern. Diese Feststellungen sind trivial. Dennoch möchte man gerade in Gedenkjahren an etwas oder jemanden erinnern, das oder der einem völlig fremd ist. So warf das Jahr 2020 bereits im Herbst 2019 seine langen Schatten voraus: Rüdiger Safranski, Klaus Vieweg und Igor Levit feierten Hölderlin, Hegel und Beethoven, deren zweihundertfünfzigste Geburtstage bevorstehen sollten. Nach einem Vierteljahrtausend gibt es niemanden mehr, der sich an diese bedeutsamen Persönlichkeiten erinnern könnte. Das Erinnern muß folglich als abstraktes, indirektes aus Quellen gehoben werden; es ist ein ›verinnerlichendes‹ Erinnern. Daß allerdings Klassiker kein spezielles Gedenkjahr benötigen, brachte jüngst der Musikwissenschaftler Christian Wildhagen in der NZZ auf den einfachen Punkt: »Ludwig van Beethoven braucht kein Gedenkjahr. Er braucht nicht einmal ein öffentliches Denkmal. Denn Beethoven-Jubeljahr ist immer, jederzeit und allerorten.« In seinem Buch Das kollektive Gedächtnis, das erst fünf Jahre nach seiner Ermordung im KZ Buchenwald erschienen ist, gibt der französische Soziologe und Philosoph Maurice Halbwachs (1877-1945) ein plastisches Beispiel der historischen Dimension des Erinnerns: »Ich erinnere mich an Reims, weil ich ein ganzes Jahr lang dort gelebt habe. Ebenso erinnere ich mich, daß Jeanne d’Arc in Reims gewesen ist und daß man dort Karl VII. gesalbt hat, weil ich es erzählen hörte oder weil ich es gelesen habe. Jeanne d’Arc ist so oft im Theater, im Film usw. dargestellt worden, daß es mir wirklich keinerlei Mühe bereitet, mir Jeanne d’Arc in Reims vorzustellen. Gleichzeitig weiß ich wohl, daß ich nicht Zeuge des Ereignisses selbst habe sein können; ich mache hier bei den Worten halt, die ich gelesen oder gehört habe – bei quer durch die Zeit reproduzierten Zeichen, die alles sind, was aus der Vergangenheit zu mir gelangt.« Im Falle der Centennium-Jubilare des Jahres 2020, darunter etwa Ravi Shankar, Ray Bradbury oder Paul Celan, überwiegt das individuelle, autobiographische Gedächtnis, das laut Halbwachs »nicht vollkommen isoliert und in sich abgeschlossen« ist. Hier besteht durchaus Zeitgenossenschaft, sprich die Möglichkeit auf konkretes, direktes, ›veräußerlichendes‹ Erinnern an einen Ort, eine Situation, eine Person.
Bei Suhrkamp sollen in diesem Sommer pünktlich zum einhundertsten Geburtstag des Philosophen Hans Blumenberg (1920-1996) zwei neue Werke erscheinen, und zwar eine Nachlaß-Textsammlung aus den siebziger Jahren mit dem Titel Realität und Realismus sowie seine bislang unveröffentlichte, 1947 an der Universität Kiel eingereichte und mit »ausgezeichnet« bewertete Dissertation Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie. (Die 232 maschinenschriftliche Seiten umfassende, 1950 vorgelegte Habilitationsschrift Blumenbergs Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls, die in Fachkreisen ebenso bekannt ist wie die Dissertation und die – nach Ausscheiden aus der Universitätsbibliothek Kiel am 30. April 2004 – als PDF mit dem Vermerk des Center for Research Libraries »This dissertation may not be copied« digital kursiert, steht indes noch nicht auf der offiziellen Publikationsliste.) Eine Recherche, die Birgit Recki unter Mitarbeit von Mina Wagener und Singa Behrens durchgeführt hat, »weist für die 21 Jahre zwischen 1996 und August 2017 ohne Berücksichtigung von Rezensionen 498 neue Titel über Hans Blumenberg aus. Das sind 24 im Jahresdurchschnitt, und zwei pro Monat.« So besitzt die Diagnose, mit der Franz Josef Wetz bereits 2011 die dritte Auflage seiner Blumenberg-Einführung eingeleitet hat, auch beinahe ein Jahrzehnt später noch Gültigkeit: »Als Blumenberg noch lebte, hätte man leicht annehmen können, er sei bereits tot; nachdem er tot ist, könnte man vermuten, er lebe noch. Woran liegt das? Die Antwort ist einfach: Ersteres an seinem freiwilligen Rückzug aus der Öffentlichkeit, Letzteres an den zahlreichen Neuerscheinungen aus dem Nachlass seit seinem Tod.«
Diese immer noch sprudelnden Primärtexte aus dem Nachlaß werden im Jubiläumsjahr 2020 durch eine etwa fünfhundert Seiten starke, im Sommer erscheinende Biographie des Philosophen ergänzt, die Rüdiger Zill, Wissenschaftlicher Referent am Potsdamer Einstein Forum, unter dem Titel Der absolute Leser vorzulegen beabsichtigt, die im Untertitel als eine intellektuelle Biographie ausgewiesen ist. Mit diesem pompösen Etikett gesellt sie sich einerseits in eine illustre Reihe, in der aktuell Peter Szondi, mustergültig Hugo Ball oder facettenreich Roland Barthes – um nur drei Beispiele zu nennen – stehen; andererseits scheint der Schwerpunkt auf Blumenbergs Werk, seiner geistigen Entwicklung, und weniger seinem (privaten) Leben zu liegen, was an Kurt Flaschs wuchtige Darstellung und Analyse des Blumenbergschen Wirkens zwischen 1945 und 1966 denken läßt. In eine ähnliche Richtung scheint das im Verlag Matthes & Seitz erscheinende Hans Blumenberg. Ein philosophisches Portrait des an der Universität Koblenz-Landau lehrenden und 1996 mit einer blumenbergkritischen Arbeit über Nominalismus und Moderne promovierten Jürgen Goldstein zu gehen, welches laut Verfasser im Herbst in den Handel kommen soll. Ebenfalls für Herbst 2020 geplant ist das von Oliver Müller und Rüdiger Zill herausgegebene Blumenberg-Handbuch, in dem ausgewiesene Blumenberg-Experten Leben, Werk und Wirkung – so der klassische Untertitel der Metzler-Reihe – des Philosophen zu beleuchten und dadurch verschiedenartige, transdisziplinäre Zugänge zu Blumenbergs Denken zu schaffen beabsichtigen. Doch all diese Typisierungen sind reine Vermutungen, und man soll ja bekanntlich ein Buch nicht nach seinem Umschlag, geschweige denn vor seiner Publikation be- oder gar verurteilen.
Was hätte Blumenberg wohl zu einer solch potenten, postumen Publikationspalette gesagt? Und wie hätte er auf Biographien reagiert, deren Absicht es ist, sein Werk, aber auch und gerade ihn selbst sichtbar zu machen? Vielleicht hätte ihn die Gewißheit beruhigt, daß derartige Lebensbeschreibungen nur für ein spezielles Publikum verfaßt sind, insofern also lediglich »eine ›kleine Gemeinde‹ des Autors« erreichen dürften, wie es im Nachlaß-Text »Mihi ipsi scripsi« selbstironisch thematisiert wird. Vielleicht hätte sich Blumenberg auch, wie 1965 in seiner Einleitung zu Galileo Galileis Sidereus Nuncius formuliert, damit getröstet, daß es »[p]
ure Sichtbarkeit als eine jedermann zugängliche Qualität« nicht gebe; »im Gegenteil, der Mensch entlastet sich ständig von der Überflutung mit dem, was optisch möglich wäre, er richtet seinen Blick immer erst auf das mit anderen als optischen Qualitäten besetzte und ihn in Anspruch nehmende Gegenständliche.« Eine dritte mögliche Reaktion zeigt Dorit Krusche in einem Artikel auf, der einen Tag nach Hans Blumenbergs neunzigstem Geburtstag in der FAZ erschienen ist: er hätte sich durch Humor entzogen. »Am 13. Juli«, heißt es dort, »wäre Hans Blumenberg, der Philosoph der Distanz und der Nachdenklichkeit, neunzig Jahre alt geworden. Zu Lebzeiten quittierte er Glückwünsche von ›Liebhabern der durch nichts als Nullen ausgezeichneten Lebensdaten‹ seriell mit sarkastischen Worten: ››Ich feiere nicht und ich lasse mich nicht feiern‹, sagte Gottfried Benn. Und ihm glaubte man es. Für den Fall, dass man es mir nicht glauben sollte, ziehe ich mich für ein paar Tage ins Sauerland zurück, dorthin, wo es am säuerlichsten ist.‹«
Gänzlich unsäuerlich und wohltuend, weil persönlich motiviert und nicht auf die – um ein bekanntes Wort Odo Marquards zu benutzen – »als gelehrte Wälzer getarnten Problemkrimis« Blumenbergs fokussiert, die dem Leser ohnehin einiges, oftmals vieles, manchmal sogar alles abverlangen, kommt eine dritte biographische Publikation daher, die Anfang März 2020 im protestantisch geprägten, 1954 gegründeten Claudius-Verlag erscheinen wird. Verfaßt hat sie Uwe Wolff, seines Zeichens Kulturwissenschaftler und Angelologe, der zudem über fünfundzwanzig Jahre lang Lehrer am Gymnasium Andreanum in Hildesheim und Fachleiter für Evangelische Religionslehre am dortigen Studienseminar war sowie – nicht unwichtig – Schüler Blumenbergs Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gewesen ist. Bereits der Titel seines schmalen Buches signalisiert, daß es sich weder um eine intellektuelle Biographie noch um ein philosophisches Portrait handelt, weswegen es einem großen, zumindest einem größeren Publikum nicht verschlossen bleiben dürfte: Der Schreibtisch des Philosophen. Erinnerungen an Hans Blumenberg. – Es steckt wahrlich viel Schreibtisch- und Erinnerungsarbeit in Jubiläumsjahren!
Bucheingänge: Der Schreibtisch des Philosophen
(Claudius Verlag, 2020)
In Theodor W. Adornos Minima Moralia gibt es einen Abschnitt, in dem der amerikanische Exilant aus Frankfurt 1946/47 über die Erinnerung nachdenkt als ein Konzept, das Vergangenheit und Gegenwart im Innern, im Privaten, im Subjektiven zusammenbringt. Interessanterweise gestaltet Adorno hierbei einen Metaphernbereich aus, den man als ›supellektisch‹ bezeichnen könnte: »Das vergangene Innenleben wird zum Mobiliar, wie umgekehrt jedes Biedermeierstück geschaffen ward als holzgewordene Erinnerung. Das Intérieur, in dem die Seele die Sammlung ihrer Denkwürdigkeiten und Kuriositäten unterbringt, ist hinfällig. Erinnerungen lassen sich nicht in Schubladen und Fächern aufbewahren, sondern in ihnen verflicht unauflöslich das Vergangene sich mit dem Gegenwärtigen.«
Zur selben Zeit etwa als Adorno diese Zeilen im ›kalifornischen Weimar‹ am Pazifik niederschrieb, erhielt ein junger Mann aus Lübeck namens Hans Blumenberg, der Jahrzehnte später als »der ›Adorno‹ Münsters« bezeichnet werden sollte, und der gerade erst das Studium in Hamburg zum Wintersemester 1945/46 wiederaufgenommen hatte, und zwar in den Fächern Philosophie, Germanistik sowie Altphilologie, ein Möbelstück, das Ausgangspunkt der Wolffschen Erinnerungen sein würde. Bei diesem Möbelstück handelte es sich um einen eichenen Schreibtisch aus einer »Bargteheider Tischlerei«, der »im letzten Kriegsjahr hergestellt worden war« (p. 11) und der nun, 2016, vom oberschwäbischen Ravensburg kommend eine neue Heimat in Uwe Wolffs Arbeitszimmer im gut sechshundert Kilometer entfernten niedersächsischen Bad Salzdetfurth finden sollte. Dieser Schreibtisch war Teil der gut zwanzig Tonnen schweren Erbmasse, bestehend aus Manuskripten und Teilen der Privatbibliothek, die Hans Blumenberg seiner Familie hinterlassen hatte. Tobias, das 1959 geborene jüngste Kind Blumenbergs nach Markus (1946-2013), Bettina (geb. 1947) und Caspar Balthasar (geb. 1953), der sich als erster um den Nachlaß seines Vaters gekümmert und das Hans-Blumenberg-Archiv in Ravensburg gegründet hat, fragte Uwe Wolff, ob er Interesse an diesem Möbel hätte, und so begann das, was die beiden Freunde humor- und zugleich respektvoll »Aktion Heiliges Holz« oder »Beiladung Heiliges Holz des Heiligen Hans« nennen sollten.
Blumenbergs ehemaligem Assistenten Heinrich Niehues-Pröbsting zufolge, war der distanzierte Nachtarbeiter, »um sich seinem Werk widmen zu können, auf die stabilitas loci angewiesen.« Niehues-Pröbsting verweist mit dieser örtlichen Seßhaftigkeit auf Blumenbergs zunehmende Reiseaversion bei abnehmender Lebenszeit; Wolff bedient sich dieses monastisch-benediktinischen Terminus ebenfalls und wendet ihn auf Blumenbergs »Dienst am Schreibtisch« (pp. 9, 37) an. Der Schreibtisch aus wuchtiger, standhafter, geradezu altersresistenter Eiche ist das Symbol par excellence dieser Ruhe und Sicherheit gebenden Stabilität, ein Fels in der Bücherbrandung und ein Heimathafen, von dem aus der Altenberger Gedankenexpeditionen und Textweltreisen unternehmen konnte.
Höhleneingänge: Blumenbergs ehemaliges Refugium in Altenberge, Grüner Weg 30
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Februar 2020)
Doch der Engelforscher Uwe Wolff betreibt keine Schreibtischforschung, wie es etwa Inge Jens getan hat, als sie in ihrer 2013 erschienenen biographischen Studie den Mahagoni-Schreibtisch Thomas Manns »von München nach Zürich, über den Atlantik nach Princeton und weiter, quer durch den amerikanischen Kontinent, nach Kalifornien, schließlich von Pacific Palisades zurück an den Zürichsee, zuerst nach Erlenbach und dann nach Kilchberg« verfolgte und ihn mit Begriffen wie »Freiraum«, »Aufbewahrungsort«, »Kraftzentrum«, »Kampfplatz«, »Ort der literarischen Produktion«, »Lebenszentrum des Zauberers«, »eine Kanzel oder ein Katheder«, »Schatzkammer und Tresor« oder »Symbol für Heimat, Angekommensein und Arbeitssicherheit« belegte. Für Wolff ist der Schreibtisch seines Lehrers vielmehr ein mnemotechnisches Vehikel, das ihm bei seiner doppelbiographischen Vergangenheitssuche behilflich ist, auf der er sich – um mit dem Liebenden Roland Barthes (1915-1980) zu sprechen – »pathetisch, punktuell und nicht philosophisch, diskursiv« erinnert; er erinnert sich, »um glücklich/unglücklich zu sein – nicht um zu begreifen.«
Uwe Wolff ist im Genre der Biographie keineswegs unbewandert. So rekonstruierte er bereits 1999 mit Das bricht dem Bischof das Kreuz die Leidensgeschichte der dreiundzwanzigjährigen Würzburger Studentin Anneliese Michel, die 1976 im unterfränkischen Klingenberg an den Folgen des letzten Exorzismus in Deutschland gestorben war. 2009 erschien Wolffs Dissertation »Das Geheimnis ist mein« über den Schweizer reformierten Theologen und Kirchenhistoriker Walter Nigg (1903-1988), der 2017 eine komprimiertere Fassung unter dem Titel Walter Nigg. Das Jahrhundert der Heiligen folgte. 2012 habilitierte sich Wolff bei Hanns-Josef Ortheil mit Der vierte König lebt!, einer Biographie über den heute fast vergessenen Schriftsteller Edzard Schaper (1908-1984). Ein Jahr später verfaßte er für den Band Iserloh. Der Thesenanschlag fand nicht statt eine etwa 120 Seiten umfassende biographische Studie des römisch-katholischen Kirchenhistorikers Erwin Iserloh (1915-1996). Im selben Jahr, 2013, erschien Wolffs Neuerzählung des Leben Jesu, bevor er sich 2017 mit Als ich ein Junge war seinem eigenen Leben widmete und den Leser einlud auf eine unterhaltsam-nostalgische Reise in seine Kindheit und Jugend in Münster von seiner Geburt 1955 bis zum Abitur 1975. A splendid time is guaranteed for all. – Und nun also: Hans Blumenberg.
In einem Gespräch mit Heimo Schwilk und Rüdiger Safranski verriet Uwe Wolff im Frühjahr 2011: »Was ich schreibe, kann ich nur in dem Bewusstsein veröffentlichen, dass es letztlich auch der Familie dient. Ich muss also ein grundsätzlich positives Verhältnis zu dem Porträtierten haben. Das Berührende meiner Arbeit ist, dass ich mich in allen drei Fällen [Anneliese Michel, Walter Nigg und Edzard Schaper]
in die Biografie mit hineingeschrieben habe.« Und genau dieses Mit-Hineinschreiben wird gleich im ersten Kapitel der Wolffschen Erinnerungen an Hans Blumenberg deutlich: Der Autor tritt sowohl in einen Dialog mit seinem Lehrer als auch mit Vergangenheiten ein. Der Inhalt der Schreibtischschubladen aktiviert die mémoire voluntaire: Auf engstem Raum erschafft Wolff temporale Konvergenzen, wenn er etwa kurze Ausflüge in die Herkunftsgeschichte der Blumenbergs im Hildesheimer Land bis ins späte 18. Jahrhundert unternimmt oder die Anfangszeit des Kunstverlages J. C. Blumenberg in Lübeck nach dem Ersten Weltkrieg mit Blick auf die konfessionelle Topographie skizziert. Im weiteren Verlauf seiner Erinnerungsarbeit flechtet er die eigene Lebensgeschichte in diejenige Blumenbergs ein, läßt dadurch subtil unterschiedliche Zeiten und Lebenswege ineinanderfließen, was an das Schreiben W. G. Sebalds erinnert. Wolffs Methode könnte anhand des in der Kunstgeschichte intensiv diskutierten, 1656 entstandenen Gemäldes »Las Meninas« des spanischen Barockmalers Diego Velázquez (1599-1660) veranschaulicht werden: Der dort dargestellte Maler ist Uwe Wolff, das Gemälde, das nur von hinten zu sehen ist, ist der Schreibtisch des Philosophen, an dem Wolff seine Erinnerungen niederschreibt. Die Figurengruppe rechts neben dem Maler könnte als Personifikation der Blumenbergschen Themen und Bücher aufgefaßt werden, während Blumenberg selbst, sprich das Modell, indes nur indirekt erscheint, und zwar in einem hinter dem Maler an der Wand hängenden Spiegel. Der zweite Beobachter, der erhöht auf einer Treppe in einem Türrahmen steht und als einziger die Szenerie voyeurhaft überblickt, das sind wir, das ist der Leser. Michel Foucault (1926-1984), der sich im ersten Kapitel von Die Ordnung der Dinge dem Raum und den Blickrichtungen der Velázquezschen »Hoffräulein« widmet, verweist auf die Differenz von Bild und Text, was auch auf das Verhältnis von Leben und Biographie Anwendung finden kann: »Sprache und Malerei verhalten sich zueinander irreduzibel: vergeblich spricht man das aus, was man sieht: das, was man sieht, liegt nie in dem, was man sagt; und vergeblich zeigt man durch Bilder, Metaphern, Vergleiche das, was man zu sagen im Begriff ist.«
Gemäldeeingänge: Las Meninas o La familia de Felipe IV, pintura de Diego Velázquez (1656)
(Public domain)
Man kann Der Schreibtisch des Philosophen einerseits als Fortführung der Wolffschen Autobiographie lesen; andererseits erscheint das Erinnerungsbuch an den Hochschullehrer wie eine alternative Fassung der 2018 in die Kinos gekommenen Roadmovie-Dokumentation Hans Blumenberg. Der unsichtbare Philosoph. Die Nichttreffen und Verfehlungen, von denen etwa Henning Ritter, Martin Mayer oder Michael Krüger berichten, sind essentieller und faszinierender Teil des Blumenberg-Mythos: Hans Blumenberg als Meister des Sich-Entziehens und Sich-Distanzierens, als philosophischer Doppelgänger Thomas Pynchons, ja fast könnte man den Eindruck gewinnen, er sei eine literarische Figur, die sich Sibylle Lewitscharoff ausgedacht habe! Wer am 28. September 2011 in der Stadtbücherei Münster zugegen war, der wurde nicht nur Zeuge einer eindringlichen Lesung Lewitscharoffs aus ihrem Roman Blumenberg, sondern auch Beobachter einer lebhaften Debatte, in der sich ehemalige Blumenberg-Schüler sowohl anerkennend als auch kritisch zu Wort meldeten. Während sich die Kritik hauptsächlich auf die überzeichnete, fiktive Darstellung des Philosophen bezog (das Schlagwort »Bilderverbot« durchzog das Auditorium), zollte man Lewitscharoff Anerkennung für die realistische Beschreibung der Vorlesungsatmosphäre, wie sie im »Coca-Cola«-Kapitel nachzulesen ist.
Diese Realitätsnähe ist Uwe Wolffs ›Beraterfunktion‹ geschuldet: Wolff erzählte Lewitscharoff nicht nur von Blumenberg, er gewährte ihr auch Einsicht in den Briefwechsel mit seinem Lehrer. Und nun zeichnet Wolff selbst ein ganz persönliches Bild mit seinem Erinnerungsbuch. Gerade die Kapitel über Blumenbergs Vorlesungen (pp. 16-40) und seine Sprechstunden (pp. 41-57), in denen es zunächst zum distanzierten, dann zum direkten Kontakt kommt, tragen dazu bei, den Menschen hinter dem großen und mythenumrankten Autorennamen zu zeigen und ihn nicht zuletzt durch seinen Humor nahbar und sichtbar zu machen.
Als Uwe Wolff 1977 nach einer ›Extrarunde‹ auf dem Gymnasium und dem zweijährigen Zivildienst das Studium aufnahm, hatte Hans Blumenberg nach Stationen in Hamburg (1958-1960), Gießen (1960-1965) und Bochum (1965-1970) bereits seit sieben Jahren den Lehrstuhl für praktische Philosophie in Münster als Nachfolger Joachim Ritters (1903-1974) inne, zu dem er »seit den sechziger Jahren [ein]
sachlich und wissenschaftsorganisatorisch […] stark rivalisierendes Verhältnis« entwickelte. Wolff hatte während seiner Gymnasialzeit schon einige Pädagogen erlebt, die ihn beeindruckten, etwa den Erdkundelehrer Flözotto (»Das war authentischer Unterricht«), den Kunstlehrer Bernd Beckebanze (ein »humorvoller Erzieher. Wir liebten seinen Unterricht«) oder Nikolaus Frings, Deutschlehrer »mit geistiger Autorität«.
Barockeingänge: Das zwischen 1767 und 1787 erbaute Fürstbischöfliche Schloß in Münster, in dessen Nordflügel (rechts) Blumenbergs berühmte Vorlesungen stattfanden
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Februar 2020)
Hans Blumenberg begann im Sommersemester 1970 am Philosophischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, das zu dem Zeitpunkt noch in der Johannisstraße 12-20 untergebracht war. Birgit Recki vermutet – »da mehr Lehrveranstaltungen mit ›N. N.‹ gekennzeichnet sind, als Blumenbergs Deputat umfasste« –, der aus Bochum Kommende könnte die folgenden drei Veranstaltungen während seines ersten Semesters in Münster angeboten haben: die Vorlesung »Einführung in die Phänomenologie«, donnerstags von 15 bis 17 Uhr; das Seminar »Was bleibt von der Geschichtsphilosophie«, donnerstags von 18 bis 20 Uhr sowie das Seminar »Thomas Hobbes, Vom Menschen – Vom Bürger«, freitags von 11 bis 13 Uhr. Ab dem Sommersemester 1978 – nach einem Forschungsfreisemester im Winter 1977/78 und kurz nachdem Wolff ins Studentenleben eingestiegen war – hielt Blumenberg nur noch Vorlesungen. Der 1951 geborene Münsteraner Sprachwissenschaftler und Blumenberg-Schüler Eckard Rolf hat diese Entwicklung 2009 in einem aufschlußreichen ›Insider-Bericht‹ für die FAZ erklärt: »Dass die Universität mit der von ihr gewährten Möglichkeit, Vorlesungen zu halten, für die Entfaltung des Blumenbergschen Œuvres eine konstitutive Rolle gespielt hat, steht außer Frage: Einer fortgeschrittenen, lernbegierigen Zuhörerschaft anhand von Stichworten und Zitaten auf Karteikarten druckreife Überlegungen höchster Originalität vortragen und so noch einmal erproben zu können war ein nicht zu unterschätzender Schritt auf dem Wege zur Veröffentlichung. Seminare, Kolloquien oder Oberseminare hingegen, in denen wirkliche Gesprächspartner Mangelware waren und Assistenten versuchten, Diskussionen vom Zaun zu brechen oder die Rolle des Advocatus Diaboli zu übernehmen, waren eher lästig, vergleichsweise unfruchtbar und mit Verlusten an Lebens-, und dies hieß vor allem: Schaffenszeit verbunden.«
Studieneingänge: Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis des Philosophischen Seminars der WWU Münster, Sommersemester 1985. Blumenbergs letzte Veranstaltungen, ohne Kommentar
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Januar 2020)
Der Theologie-, Germanistik-, Pädagogik- und Philosophie-Student Wolff erkannte in Blumenberg »sofort den Theologen und einen Obersten der Schule« (p. 19), der zwar seinen katholischen »Glauben verloren« hatte, jedoch »nicht die Liebe zur Kirche […]
, obwohl sie«, wie es Blumenberg selbst in seinem letzten Brief ausdrückte, »mich nicht einmal beerdigen darf (ich zahle die Steuer, die mir einen eigenen Exorzisten ermöglichen würde).« Im Gegensatz zu einem anderen, einhundertfünfzig Jahre älteren Jubilar des Jahres 2020, Friedrich Hölderlin, hat Blumenberg also die »Galeere der Theologie« nie ganz verlassen. Wolff schreibt mit Emphase über seine Faszination der Blumenbergschen Andersartigkeit und vom Erzähltalent des Professors: »Er schöpfte aus dem Vollen.« (p. 21) Dann beschreibt er den Vorlesungsbeginn: »Der Lehrer legte sein Typoskript auf das Pult und wartete, bis absolute Stille eingetreten war. So wurde das Klicken der Aufnahmetaste des Kassettenrekorders von Thomas Sternberg [der seit 2015 Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ist]
hörbar. Blumenberg mochte Aufnahmegeräte und duldete auch Mikrophone vor seinem Pult, gaben sie doch seinen Vorlesungen jene Aura aus Messe und Happening, in der sich Weihe und Witz zu höherer Heiterkeit verbanden.« (pp. 22-3) Das Setting ähnelt sehr demjenigen der Vorlesungen, die Michel Foucault zur selben Zeit, von 1971 bis zu seinem Tod 1984, am Collège de France hielt. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Professoren: Während Blumenberg nicht den Wunsch hegte, das Vorgestellte mit dem Plenum zu diskutieren und bereits um »15.43 Uhr, noch inmitten der Entwicklung der Pointe, […]
den letzten Satz formulierend, durch die Seitentür« (p. 40) entschwand, bedauerte es Foucault sehr, daß bei Vorlesungsende keinerlei Feedback entstand: »Die Studenten stürzen zu seinem Pult. Nicht um mit ihm zu sprechen, sondern um die Kassettenrekorder abzuschalten. Niemand fragt etwas. In dem Tohuwabohu ist Foucault allein.« In welchem Hörsaal herrscht heute noch eine solche Atmosphäre!
In Anspielung auf Dorit Krusches FAZ-Artikel über einen philosophischen Crash-Kurs im Bildungszentrum für höhere Postbeamte in Bargteheide, wo Blumenberg vor seiner akademischen Karriere am 16. und 19. Juli 1954 im Haus »Malepartus« – die Bezeichnung des Fuchsbaus in der Tierfabel – zum Thema »Richtiges Denken« sprach, bezeichnet Wolff den Münsteraner Hörsaal S 8 im Schloß ebenfalls so: »Offensichtlich brauchte Blumenberg Fluchtwege. Denn er betrat seinen Fuchsbau durch einen verborgenen Seiteneingang wie ein Schauspieler, der plötzlich auf der Bühne erscheint und den niemand kommen sah […]
.« (p. 34) Daß dieser Vergleich auch eine etymologische Dimension besitzt, belegt eine Fußnote in Ernst Robert Curtius’ wirkmächtiger Studie Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter: »In Byzanz heißt philosophos der ›Gebildete‹, aber auch der Fuchs im Tierepos.« – Ein Fuchs, dieser Blumenberg, der stets ein Auge für und ein Verlangen nach Fluchtröhren besaß, die den vulpischen Hauptröhren weitsichtig und geradezu ausgefuchst beigefügt sind. (Es sei daran erinnert, daß der sechste Teil der Höhlenausgänge mit »Fuchsbauten« überschrieben ist.) Das Indirekte, nur Angedeutete, das Umwegige, das die Distanz vergrößert, aber auch die absichtlichen Leerstellen, zu denen Tobias Mayer »auch das Biographische, das Blumenberg streng vor dem Zugriff der Öffentlichkeit zu schützen pflegte« zählt, charakterisieren sowohl Werk als auch Leben des »passionierte[n]
Grenzgänger[s]
im Clair-obscur der Kulturwissenschaften«.
Hörsaaleingänge: Einer der beiden Zugänge zu Hörsaal H 158 (S 8) in der ersten Etage des Münsteraner Schlosses
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Februar 2020)
»Ein echter Lehrer«, erklärt Uwe Wolff 2017 in Als ich ein Junge war, »hat einen Blick für die anvertrauten Talente. Manchmal geschieht diese Befreiung in ganz anderer Weise und mit einer anderen Richtung, als sie im Plan des Erziehers lag. Unterricht ist Begegnung. So liegt in aller Pädagogik ein unverfügbares Glück des Gelingens. Wohin es führt, weiß niemand im Voraus zu sagen. Mancher Erzieher wird niemals etwas von der Wirkung seines pädagogischen Tuns erfahren.« Wolff erlebte Blumenberg als eindrücklichen Pädagogen, der Bildung als formatio, als Menschen- und Persönlichkeitsbildung begriff, als einen Lehrer, »von dem ich nichts wollte und deshalb vieles bekam« (p. 17), als einen Philosophen, »der seine Zuhörer nicht nur belehren, sondern unterhalten wollte« (p. 35). Diesen Unterhaltungswert betont auch Birgit Recki, deren 1984 eingereichte Dissertation Aura und Autonomie. Zur Subjektivität der Kunst bei Walter Benjamin und Theodor W. Adorno in Blumenberg einen Zweitgutachter fand: »Nicht selten hätte man den Eindruck haben können, dass sich Blumenberg dabei [der scharfsinnigen Kritik an den vorgestellten Theorien]
vor allem der von Shaftesbury empfohlenen Methode des Test of Ridicule bediente; sein Sense of Wit and Humor jedenfalls, sein ausgeprägter Sinn für die tiefere methodische Bedeutung von Scherz, Satire, Humor und Ironie darf als gelungene Verkörperung dessen gelten, was dem schottischen Aufklärer vorgeschwebt haben mag.«
Bibliothekseingänge: Neu-, An- und Umbau des Philosophikums der WWU Münster
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Februar 2020)
Wolffs direkter Kontakt mit seinem Lehrer fand in den Freitagssprechstunden ab 17 Uhr in Blumenbergs Büro im Philosophikum am Domplatz statt, das erst kürzlich nach vierjähriger Sanierungsarbeit für 17,6 Millionen Euro zum Wintersemester 2017/18 in neuem, sandfarbenem Glanz erstrahlte, von dem sich sicherlich auch Blumenberg gerne hätte blenden lassen wollen, stand er dem Gebäude an sich oder genauer: der Lokalisierung desselben doch skeptisch gegenüber: »Niehues-Pröbsting«, so Helmut Jasny in der Münsterschen Zeitung, »erinnert sich an das Wintersemester 1980/81, als das Philosophische Seminar an den Domplatz zog. Blumenberg hatte den Ortswechsel missbilligt und mit Blick auf den Dom angemerkt: ›Wir müssen Abstand zu denen da halten.‹« Wolff beschreibt die Aussicht: »Vom Fenster des Arbeitszimmers war der gesamte Domkomplex überschaubar: zur Linken die Wohnungen der Domherren, zur Rechten das Priesterseminar Collegium Borromaeum.« (p. 50-1) Und während Blumenberg mit dem Philosophischen Seminar näher an die katholische Kirche rückte – der Dreizehnjährige war bereits am 28. Oktober 1933 mit seinem Vater erstmals in Münster gewesen, und zwar zur Bischofsweihe Clemens August Graf von Galens –, so verringerte sich auch der Abstand zu seinem Schüler Uwe Wolff, denn von der Vorlesung, in der Wolff den Lehrer aus der Distanz staunend erlebt hatte, näherte er sich schriftlich an, um Fragen zu stellen, ganz wie es Blumenberg angeordnet hatte: »Ich stellte Hans Blumenberg meine Fragen und erhielt prompt schriftliche Antworten. Zuerst in Form von Literaturhinweisen, die er auf weiße Karteikarten eigenhändig getippt hatte. Dann kamen Kopien und witzig kommentierte Zeitungsausschnitte, schließlich Kurzmitteilungen, später umfangreiche Briefe. Sie führten weiter.« (p. 42)
Haupteingänge: Das Philosophische Seminar der WWU Münster am Domplatz 23
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Februar 2020)
Man darf nicht vergessen, daß es sich bei den Wolffschen Erinnerungen auch und zunächst um – Erinnerungen handelt, sprich um subjektive Eindrücke, die vierzig Jahre zurückliegen. So wirft der Autor in bündigen Absätzen stichpunktartig Charakteristika und Anekdotenhaftes seines Lehrers auf die Seiten – von energie- und humorvoll über up-to-date, robust, schriftstellerisch talentiert und gelassen, hin zu geheimniskrämerisch, indirekt mitteilend, provokant, lästernd etc. pp. –, was aufgrund chronologischer und thematischer Sprünge nur Freunden des Fragmentarischen oder des stream of consciousness gefallen dürfte. Hier durchmischt sich auf struktureller Ebene mehr und mehr die mémoire voluntaire mit der mémoire involuntaire, hier werden die persönlichen Erinnerungen mit historischen Sekundärquellen ergänzt, was an den Abschweifungen zu Kurt und Barbara Aland, Ferdinand Fellmann, Karl-Heinz Gerschmann, zu Blumenbergs 1955 unternommener Ägypten-Reise, Auslassungen über Zahnheilkunde oder Hans Carossas Gedichte abzulesen ist – sehr viel Input auf sehr geringem Raum! Dennoch tragen diese Gesprächs- und ›Nebenthemen‹, diese (auto-)biographischen Fitzel, auch zu einem lebendigeren Gesamtbild Hans Blumenbergs bei, der eingebettet wird in ein Figurenkabinett aus Assistenten, Freunden, Lehrern, zu denen Wolff jeweils prägnante biographische Skizzen en passant anfertigt. Sicherlich verfaßte auch Uwe Wolff seine Blumenberg-Hommage mit einer ähnlichen Intention, wie sie der Journalist Hans von Hülsen (1890-1968) in der Vorrede seiner 1947 publizierten Erinnerungen an Gerhart Hauptmann formuliert hat: »Ich habe es [Hauptmanns Leben]
ganz schlicht erzählt, genau so, wie es mir an schönen und auch an stürmischen Tagen einst geschenkt wurde, ohne das geringste Streben, den, von dem dieses Büchlein handelt, zu stilisieren, zu idealisieren oder schöner zu machen als er war. […]
Er [Hauptmann]
war eines der größten Erlebnisse meines Lebens. Jeder Gedanke an ihn ist Dank gegen ihn.«
Zu den besonderen Gedanken an seinen Lehrer zählt Wolffs Schilderung der Sprechstunde: »In diesen späten Freitagnachmittagen war Blumenberg ein unkomplizierter Plauderer, der die Zeit und den armen Tobias vor der Tür vergaß. Wenn ich in den Wintermonaten das Zimmer betrat, war die Dämmerung auf dem Domplatz bereits eingebrochen. Dennoch schaltete Blumenberg das Licht der Stehlampe nicht an. So sprachen wir in die zunehmende Dunkelheit hinein. Bald erklang von den Glocken des Domes das Angelusläuten und begleitete das Gespräch. Je dunkler es wurde, desto lebendiger erzählte er oder ließ sich erzählen.« (p. 51) Im Plauderton verließ man gemeinsam nach und nach das wahrheitsversprechende Licht und tauchte ab in die Finsternis, in der Platz war für freies, ungezwungenes Gerede, frei von Studieninhalten und Prüfungsfragen. Während einer dieser Sprechstunden schenkte Blumenberg seinem Schüler kurz vor Weihnachten die dreibändige Taschenbuchausgabe seiner Genesis der kopernikanischen Welt sowie einen Hermann-Hesse-Bildband, den Wolff am folgenden Tag in der Münsteraner Buchhandlung Poertgen-Herder gegen eine Freud-Bildbiographie eintauschte. »Der Lehrer lachte herzlich, als er später von dem Wechsel erfuhr.« (p. 57)
Literatureingänge: Die am 1. Januar 1892 gegründete Buchhandlung Poertgen-Herder in der Salzstraße 56
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Februar 2020)
Uwe Wolffs persönliche Erinnerungen an den Philosophen, die weniger vom Duktus des 1967 geborenen Autors Andreas Maier und dessen auf elf Bände konzipierte autobiographische Romanserie haben als es noch Wolffs Rückblick auf seine eigene Kindheit und Jugend in Münster hatte, sind in nostalgischem, ruhigem, geradezu religiös prononciertem Ton gehalten. Bei aller Bewunderung und Faszination, die er Blumenberg gegenüber ausdrückt, bleibt er diskret und auf den Geistesmenschen fokussiert, auch wenn Wolff, der, laut Ulrike Posches Beschreibung in der Weihnachtsausgabe 2019 des Magazins Stern, zu einem Pullover »die langen grauen Haare im Nacken gebunden« trägt, an einer Stelle über Blumenbergs »grauen, leicht gewellten Haarkranz« und die »zu jeder Jahreszeit getragenen Polo-Shirts mit den weiten Kragen«, aus denen »das buschige graue Brusthaar« hervorquoll (p. 34), schreibt.
In den diesen persönlichen Erinnerungen folgenden Kapiteln 4 und 5, die sich Blumenbergs Jugend und der Kriegszeit widmen, beginnt Wolff – da hier sein Erinnern nicht greifen kann – aus Quellen zu erzählen, wie er es schon vor gut sechs Jahren in seinem lesenswerten und informativen sechzehnseitigen Aufsatz in der IKaZ mit Fokus auf »Blumenbergs katholische Wurzeln« geleistet hat, einer – in den Worten Jürgen Kaubes – »fabelhaften biographischen Skizze zu den frühen Jahren Blumenbergs«. Der siebenundzwanzigjährige Hans Blumenberg selbst hat seiner Dissertation einen kurzen Lebenslauf beigefügt, der die wesentlichen Stationen aufführt: »Geboren am 13. Juli 1920 zu Lübeck als Sohn des Kaufmanns J. C. Blumenberg, deutscher Staatsangehörigkeit, habe ich nach der Grundschule das Gymnasium des Lübecker Katharineums besucht und dort 1939 das Reifezeugnis erhalten. Sodann studierte ich scholastische und neuthomistische Philosophie, und zwar 1 Semester an der Philosophisch-theologischen Akademie in Paderborn und 2 Semester an der Philosophisch-theologischen Hochschule St. Georgen bei Frankfurt am Main, hier vor allem bei Caspar Nink. Nachdem ich 1941 mein Studium abbrechen musste, setzte ich meine Arbeiten, insbesondere auf dem Gebiete der mittelalterlichen Philosophie, bis 1943 privat fort. Dann nahm ich eine Tätigkeit in der Industrie auf. Nach Kriegsende brachte ich mein philosophisches Studium an der Universität Hamburg, vor allem bei Ludwig Landgrebe, zum Abschluss. Als Nebenfächer wählte ich Griechisch und Deutsche Literatur.«
Uwe Wolff hat nach eigenen Angaben den gesamten Nachlaß Hans Blumenbergs in Marbach gelesen, soweit dieser Biographisches betreffe. Darunter findet sich, wie Julia Amslinger bemerkt, »kein geheimes Diarium«, das deutlicher oder tiefer in Leben, Gedanken oder Gefühle Blumenbergs blicken lassen könnte. Dennoch kann Wolff nun seinerseits aus dem Vollen schöpfen, und er ergänzt die Archivalien durch persönliche Kontakte, etwa zum Lübecker Arzt Ulrich Thoemmes, einem alten Schulfreund Blumenbergs, den Uwe Wolff bereits 1982 in dessen Funktion als Vorsitzender der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft kennengelernt hat, als dem damals sechsundzwanzigjährigen Autor der Thomas-Mann-Förderpreis verliehen wurde. Thoemmes konnte wertvolle Einblicke in die gemeinsame Schulzeit mit Blumenberg liefern. Wolff zeichnet das Bild einer schulischen Erziehung im Zeichen des Glaubens, in der Gebete und Gedichte eine wichtige Stellung einnahmen: die stillen Messen vor Unterrichtsbeginn, die strengen Ordensschwestern der Ursulinen als Lehrerinnen, der Dienst als Meßdiener, die Firmung, schließlich der Wunsch, Katholische Theologie zu studieren, wie viele seiner Vorfahren – dies waren die ersten prägenden Etappen des als »Hans Joseph Konrad Blumenberg um 12.10 Uhr« (p. 59) am 13. Juli 1920 Geborenen.
Doch zunächst wartete die Schulzeit im 1531 gegründeten Lübecker Gymnasium Katharineum auf Hans Blumenberg, eine Bildungseinrichtung, die »schon Thomas Mann die Ehre vorenthalten hat, sie bis zum Abschluß zu besuchen«, wie es in Blumenbergs 1988 publizierter Matthäuspassion heißt. Mann »war, nachdem er insgesamt dreimal sitzengeblieben war, als Untersekundaner von der Schule abgegangen.« Gänzlich konträr zum prominenten ehemaligen Schüler verließ Blumenberg das Katharineum 1939 nicht nur als Klassenprimus, sondern auch als bester Abiturient ganz Schleswig-Holsteins. Durch die Entlassung Georg Rosenthals (1874-1934) am 1. Juli 1933 als Direktor und dessen Suizid acht Monate später »erkannte Hans Blumenberg im Spiegel von Rosenthals Schicksal die eigene Bedrohung« (p. 65), galt er doch im Weltbild der Nationalsozialisten »ab 1935 als ›Mischling ersten Grades‹ bzw. ›Halbjude‹.« In seiner Rezension von Jörg Fligges umfangreicher Studie Lübecker Schulen im »Dritten Reich« findet sich eine prägnante Summa Martin Thoemmes’, des Sohnes von Blumenbergs Schulfreund Ulrich: »Blumenberg fühlte sich von einem Teil seiner Mitschüler noch bis zum goldenen Abitursjubiläum gemobbt, durfte als bester Schüler zwar die Abiturientenrede schreiben, aber nicht vortragen, und wusste nach eigenen Angaben bis zum Schluss nicht, ob der Nazi-Direktor Robert Wolfanger ihm überhaupt das Reifezeugnis überreichen würde.«
Wolff beschreibt mit kühler, klarer Sprache und in prägnanten Sätzen die Veränderungen, die am renommierten Lübecker Gymnasium nach 1933 durchgeführt wurden: »Am Katharineum wehte nun die Fahne der Hitlerjugend.« (p. 66) Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard (1931-1989) hat in seiner Erzählung Die Ursache, dem 1975 erschienenen ersten Teil seiner fünfbändigen Autobiographie, die Substitution repressiver Requisiten wie folgt beschrieben: »Im Innern des Internats hatte ich keine auffallenden Veränderungen feststellen können [nach Kriegsende]
, aber aus dem sogenannten Tagraum, in welchem wir in Nationalsozialismus erzogen worden waren, war jetzt die Kapelle geworden, anstelle des Vortragspultes […]
war jetzt der Altar, und wo das Hitlerbild an der Wand war, hing jetzt ein großes Kreuz […]
.« Man muß diese Passage wohl rückwärts lesen, um ein Gefühl für Blumenbergs Schulzeit während der NS-Diktatur zu bekommen. Doch bleibt jedes Hineinfühlen in die Situation, jeder Versuch der Vorstellung der damals herrschenden Atmosphäre letztlich abstrakt und ungenügend. »Würde einer seinen Tod zu Protokoll geben«, heißt es unter der Überschrift »Das unerlebbare Letzte« in Blumenbergs Nachlaß-Textsammlung Goethe zum Beispiel, »würden wir es nicht verstehen. Noch weniger, als wir verstehen, wenn einer seinen Schmerz begreiflich machen will. Obwohl wir alle Schmerzen gehabt haben, so doch nicht diesen.« Ulrich Thoemmes’ eindringliche, 1984 veröffentlichte »Kindheitserinnerungen eines Lübecker Arztes« kommentierte Blumenberg einige Jahre später mit den Worten: »Der Erinnerungsraum des Arztes samt Inventar war auch der meinige, das Personal auch das meines Rückblicks, die Daten auch die meiner Schulgeschichte, deren Düsternis die des Freundes noch um einiges übertroffen haben mochte.«
Licht in diese Düsternis brachten Pädagogen von Format und Wirkung. Wolff nennt Hans Peters, einen »Kunsterzieher, bei dem sich Hans Blumenberg wohl fühlte.« (p. 68) Doch vor allen rangierte der Klassenlehrer Wilhelm Krüger, eine Art ›Proto-Blumenberg‹, in dem Uwe Wolff das Vorbildliche eines Pädagogen manifestiert sieht: »Das Beispiel dieses Lehrers zeigt die herausragende Bedeutung, die ein Schulmeister für das geistige Werden eines ihm anvertrauten Menschen haben kann. Es reicht zuweilen tiefer hinab, als alle spätere universitäre Bildung. Wilhelm Krüger hat Blumenberg entscheidend geprägt und den Lehrer in ihm erweckt. Krüger ließ seine Deutschstunden reihum von den Schülern protokollieren. Er forderte Achtsamkeit, Genauigkeit und Formbewusstsein. Krüger verkörperte für Blumenberg das Ideal des ritterlichen Menschen. Er war ein Vorbild an Esprit, ein treuer Freund und Weggefährte. […]
Noch mehr aber wurde sein Deutschlehrer prägend für Hans Blumenbergs Stil der indirekten Mitteilung und der Verhüllung. Die Umschreibung, das zart Angedeutete, das Kryptische und Änigmatische waren früh eingeübte Stilformen, derer sich auch Wilhelm Krüger selbst in seinen Briefen von der Front bedienen sollte. Wer zu lesen verstand, dem teilte er die nackte Wahrheit in der Verhüllung mit. So wurde diese Schulzeit mit all ihren Facetten zu einem lebensweltlichen Hintergrund von Blumenbergs Philosophie.« (pp. 72-3)
Wolff präsentiert das Krisen- und Schicksalhafte in Blumenbergs Leben; er veranschaulicht »die zahllosen Bedrängnisse, Demütigungen und Verfolgungen einer Jugend im Nationalsozialismus« subtil, doch kraftvoll, mit schnörkelloser Attitüde. Mit der Schulzeit sollte die Düsternis jedoch längst nicht enden. »Wie sollte einer«, fragt Hans Blumenberg in Die Sorge geht über den Fluß, »vom Letzten und Vorletzten lehren können, wenn er ihm nicht ausgesetzt gewesen war?« Doch dieses Letzte und Vorletzte, dem Blumenberg im Katharineum erstmals begegnet war, sollte sich ihm noch nicht gänzlich in den Weg stellen, denn zunächst ging es recht vielversprechend für den Hochbegabten weiter: »Als einziger Priesteramtskandidat der Diözese Osnabrück immatrikuliert er sich an der Erzbischöflichen Philosophisch-Theologischen Akademie in Paderborn und wechselte anschließend auf die Jesuitenschule St. Georgen.« (pp. 77-8) Wolff bleibt bei seiner Schilderung dieser frühen Studienjahre auffallend still, gerade in Bezug auf Blumenbergs Lehrer in Paderborn und Frankfurt am Main (der Name Caspar Ninks etwa fällt kein einziges Mal); über diese erfährt man mehr in Benjamin Dahlkes und Matthias Laarmanns 2017 in ThGl veröffentlichtem Artikel über den jungen Priesteramtskandidaten aus Lübeck. Stattdessen rückt Wolff Walter Kropp in den Fokus, mit dem sich Blumenberg bei den Jesuiten in Sankt Georgen ein Zimmer teilte, und der erst am 27. November 2019 im Alter von einhundert Jahren in Herne sterben sollte. Beide verband eine lebenslange Freundschaft. Wolff zitiert ausführlich aus Kropps Nachruf auf dessen Freund Hans in der Studentenzeitung St. Georgen: »Der Viel-Wissende, Durchblickende und Weiter-Denkende beeindruckte mich tief« (p. 79), so Kropp dort.
Doch die verschärfte NS-Rassenpolitik sollte Blumenberg schon bald zum Abbruch seines Studiums zwingen, so daß er 1942 nach Lübeck zurückkehrte. Hier wird er nicht nur eine Leseliste, sondern auch seinen ersten Zettelkasten anlegen, zwei Projekte, die er jahrzehntelang mit Akribie fortführen wird. »Blumenbergs theologische Interessen«, erklärt Uwe Wolff, »sind dokumentiert durch ein von ihm angefertigtes Verzeichnis seiner Bibliothek, die im Feuer der Bombardierung Lübecks am 28. März 1942 [dem Todestag Blumenbergs vierundfünfzig Jahre später!]
ein Opfer der Flammen wurde. Der Priesteramtskandidat hatte hier über 1500 theologische Titel gesammelt und teilweise von dem Lübecker Buchbinder Paul Vogel aufwändig binden lassen. Das Bibliotheksverzeichnis zeigt das theologische Profil eines jungen Mannes, der sich durch die Großzügigkeit seines Vaters sämtliche Bücherwünsche erfüllen kann. Nach seiner Entlassung aus dem Studium der Theologie findet Blumenberg Schutz durch Heinrich Dräger.« (p. 82) Dieser Otto Heinrich Dräger (1898-1986), Enkel des Drägerwerk-Gründers Johann Heinrich, stellte Hans Blumenberg als Einkäufer ein und rettete ihm so das Leben. Im Marbacher Nachlaß Blumenbergs findet sich ein Arbeitszeugnis, das Dräger Blumenberg im Sommer 1946 ausgestellt hat: »Herr Hans Blumenberg, geb. am 13.7.1920 in Lübeck, trat am 1.5.1943 als Angestellter bei uns ein und wurde auf kaufmännischem Arbeitsgebiet und im technischen Materialeinkauf eingesetzt. Obwohl ihm dieses Gebiet seinem bisherigen Werdegang nach ganz fremd war, arbeitete sich Herr Blumenberg überraschend schnell ein und konnte sehr bald mit wichtigen Arbeiten betraut werden und die Stellung des Leiters einer gesonderten Abteilung bekleiden. Die Geschäfte dieser Abteilung führte Herr Blumenberg unter den schwierigsten Verhältnissen mit großer Sicherheit und Umsicht.«
Wolff bleibt ob dieser dramatischen, lebensbedrohlichen Situation in seinem Erinnerungsbericht merkwürdig distanziert; statt biographischen Hintergrund zu liefern, wie er es 2014 in »›Den Mann, den alle schlagen, diesen schlägst du nicht.‹ Hans Blumenbergs katholische Wurzeln« detailliert und mustergültig getan hat, zeigt er jetzt, wie Blumenberg durch Lyrik die befürchtete Lagerhaft zu überstehen hoffte und schlägt vom Kriegsende aus die Brücke zur Vorlesung über »Lebenszeit und Weltzeit« des späteren Münsteraner Professors im Sommersemester 1982: »Die Enge der Zeit ist nicht nur Wurzel allen Bösen, sondern beschreibt das Selbstverständnis des ›Führers‹, der seine Lebenszeit und die Weltzeit wahnhaft zu synchronisieren versucht und schließlich mit dem eigenen Untergang die Welt in den Abgrund reißen will.« (pp. 85-6) Die Folgen des Kriegstraumas spürte vor allem Blumenbergs eigene Familie. Der Schwäbischen Zeitung verriet Tobias Blumenberg Ende 2019: »›Er [sein Vater]
war nach seinen [sic!]
Aufenthalt in einem Konzentrationslager für den Rest seines Lebens schlaflos – insgesamt 50 Jahre‹, sagt Blumenberg. 50 Jahre lang habe Hans Blumenberg Tabletten genommen und musste ständig die Dosis steigern. Diese Erfahrung und die Tablettensucht hätten ihn so geprägt, dass es [sic!]
sich gegenüber uns Kindern sehr hart verhalten habe. ›Er hat mich geprügelt, gequält und hat keinen Sinn für meine Kindlichkeit aufgebracht‹, sagt er. ›Das hat dazu geführt, dass ich sehr gerne das Elternhaus verlassen habe.‹«
Im vorletzten Kapitel von Der Schreibtisch des Philosophen kehrt Uwe Wolff zur Schreibtischarbeit zurück und verbindet die eigene Angelologie mit derjenigen Blumenbergs: Inwieweit hat sich Blumenberg mit Engeln befaßt? Wie und wo sind ihm Engel begegnet? Hier treffen sich die Forschungsinteressen von Lehrer und Schüler. Im Jahre 2013 wurde Uwe Wolff das Udo-Keller-Stipendium für Gegenwartsforschung: Religion und Moderne zugesprochen, damit er über Vorarbeiten zu Hans Blumenbergs Angelologie und Dämonologie forschen konnte. Wolff schreibt: »Was mich an den Engeln faszinierte, war die Vielfalt der kulturgeschichtlichen Zeugnisse, ihre Allgegenwart in den Religionen, ihre Vernetzung mit biografischen Schlüsselerlebnissen, ihre Bedeutung für die Liturgie, das persönliche Weggeleit und ihr Mittlertum als Zugang zur Gottesfrage. Der Lehrer nahm Anteil an meinem Werden als Lehrer, mahnte aber zur ›Vorsicht im Umgang mit Engeln‹.« (p. 95) Mit diesem recht speziellen Kapitel beabsichtigt Wolff, den Dämonologen und Bibelleser Hans Blumenberg sichtbar zu machen, einerseits durch lange Zitate aus Blumenbergs Ende Dezember 1989 in der FAZ veröffentlichtem Artikel »Sollte der Teufel erlöst werden?«, andererseits durch Blumenbergs Haltung gegenüber der Überarbeitung der Zürcher Bibel: der Emeritus sah »im Dunkel der Überlieferung den Grund für eine Vielfalt von Bedeutsamkeit.« (p. 100)
»Eine Lebensbeschreibung«, läßt James Boswell seinen Dr. Johnson 1772 urteilen, »könne nur geben, wer mit dem Betreffenden gegessen und getrunken und gesellig verkehrt habe.« Wolff ist weder Boswell noch Eckermann; er ist Pädagoge, der den Stellenwert eines guten, prägenden, bildenden Lehrers deutlich machen will. Er schwelgt nicht in Erinnerungen an Hans Blumenberg. Vielmehr weckt er mit seinem bündigen und kundigen Rapport über einen Zeitgenossen, der vor Jahrhunderten gelebt zu haben scheint, Neugier und Interesse nicht nur an der Person und am Leben seines Lehrers, sondern gerade auch an dessen Werk. So ist dieser Erinnerungsbericht auch ein Reisebericht durch Zeiten und Orte, durch Biographien und Bildungsthemen, auf deren Kreuzungen sich Wolff selbst findet, indem er Blumenberg und dessen Umwegen nachspürt. Ganz deutlich wird dieses Gehen in den Schuhen des Lehrers im abschließenden Kapitel, das den apokalyptisch angehauchten Titel »In Nacht und Eis: Leben mit dem Weltuntergang« (p. 108) trägt. Hier kehrt Wolff in die frühe Kindheit Blumenbergs zurück und berichtet über die prägende Lektüre der Fram-Expedition des norwegischen Polarforschers Fridtjof Nansen (1861-1930) des Neunjährigen im Herrenzimmer seiner Tante Marie: »Was der Knabe fröstelnd las, wurde zu einem Lebensthema.« (p. 109) Schon die ersten Sätze mußten den jungen Blumenberg gefesselt und seine Vorstellungskraft stimuliert haben: »Ungesehen und unbetreten, in mächtiger Todesruhe schlummerten die erstarrten Polargegenden unter ihrem unbefleckten Eismantel vom Anbeginn der Zeiten. In sein weißes Gewand gehüllt, streckte der gewaltige Riese seine feuchtkalten Eisglieder aus und brütete über Träumen von Jahrtausenden.« Die Forschungsreise in die Arktis, die Nansen zwischen 1893 und 1896 unternommen hat, faßt Uwe Wolff wie folgt zusammen: »›In Nacht und Eis‹ berichtet von dem unglaublichen Mut und der unbeugsamen Willenskraft eines Forschers, der mit seinem Fleiß widrigsten Lebensumständen trotzte und am Ende dennoch von den dunklen Schatten der Melancholie eingeholt wird. Das hohe Maß an Produktivität war die Kehrseite seiner Traurigkeit.« (p. 111) Wer würde bei dieser Passage nicht auch an das Leben und das Schicksal Hans Blumenbergs denken?
Das abschließende Kapitel der Wolffschen Memoiren ist das Kapitel der abschließenden Reisen, Reisen in die Arktis mit Fridtjof Nansen Ende des 19. Jahrhunderts und Uwe Wolff im Jahre 1995, auf der er auf eine Bibliothek im ewigen Eis der Rudolf-Insel auf Franz-Josef-Land stieß, »leinen- und ledergebundene Bücher, Regale vom Boden bis zur Decke gefüllt. Es mögen zehntausend Bände sein.« Blumenbergs einzige große Reise nach Ägypten 1955 findet eine ebenso kurze Erwähnung wie die Italienreise mit seinem Vater 1930. Es ist aber auch das Kapitel der metaphysischen Reisen, Reisen der Sinnsuche, allen voran Blumenbergs gewaltigste Lebensreise, die Matthäuspassion, »das Logbuch einer Fahrt in die Gottesfinsternis« (p. 118).
Wolffs Blumenberg-Brevier endet mit Erinnerungen an zwei seiner Münsteraner Lehrer: einerseits an »den Philosophen vom Blumengebirge« (p. 125), wie sich Blumenberg selbst gegenüber Wolff einmal humorvoll bezeichnete, und an den nur gut eine Woche nach dem Philosophen verstorbenen Mediävisten Friedrich Ohly (1914-1996) andererseits. An Ohly fand sich in Blumenbergs Schreibtisch noch ein adressierter, leerer Briefumschlag, wie Wolff im Typoskript erwähnt, ein Briefumschlag für einen Brief, den Blumenberg nie geschrieben hat oder nicht mehr schreiben konnte. »Auch dieser Schreiber leidet«, heißt es in Die Verführbarkeit des Philosophen, »wie es sich gehört. Er ist nur noch unentschlossen, woran und worunter. […]
Die zähe Arbeit an der Selbststilisierung ist unvollendet und die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß er als ein Wallenstein des gedruckten Papiers in die Geschichte der akademischen Provinz eingehen wird. Es wird Zeit, der Sache ihre endgültige Färbung zu geben. Den Statistiken der Lebenserwartung nach ist der Punkt nicht fern, wo ihm die Feder mehr oder weniger sanft aus der Hand genommen wird.«
Apropos Schreibtisch! Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Uwe Wolff benutzte das titelgebende Möbelstück des »gelehrten Titan von Altenberge bei Münster« als ›MacGuffin‹, ein Objekt oder Ereignis, das der einflußreiche Filmregisseur Alfred Hitchcock (1899-1980) um 1939 populär gemacht hat und über das Blumenberg schrieb: »In dem nur durch seine Identität ausgezeichneten MacGuffin kondensiert sich ein Geheimnis, das für die Spanne der Handlung jeden Aufwand, jede Betriebsamkeit, jede Menge Leben rechtfertigt.« Der Schreibtisch ist das Holz des Anstoßes der Wolffschen Reflexionen, der Motor seiner Zeitreise in die eigene und die Blumenbergsche Vergangenheit, ein bedeutungsloses, mysteriöses Requisit, das der Leserschaft »jede Menge Leben« verspricht. Dieser gekonnte und subtile mobiliare Einsatz geht einher mit der glücklichen Tatsache, daß der Angelologe Wolff den Schreibtisch weniger als Sanctuarium betrachtet – auch wenn die Szenerie mit Bücherwand, Schreibtisch, MacBook, Ikone und Leonard-Cohen-LP, die die Ende August 2019 entstandene Photographie auf Seite 8 wiedergibt, etwas Reliquienhaftes ausstrahlt –, sondern vielmehr als Gebrauchsgegenstand mit spezieller Vorgeschichte und »zahlreiche[n]
Ringe[n]
von Tee- oder Kaffeepötten«.
Ortseingänge: Altenberge-Süd, Münsterstraße.
Von hier aus sind es noch etwa zwei Kilometer bis zu Blumenbergs ehemaliger Adresse, Grüner Weg 30
(Nico Schulte-Ebbert, denkkerker.com, Februar 2020)
»Ihre Abwehr«, schreibt der Historiker Reinhart Koselleck (1923-2006) im Sommer 1973 an Blumenberg, »jeder weiterer kolloquialer Tätigkeit in Massenforen hat mich nachdenklich gestimmt. In der Tat springt weniger heraus, als wenn man intensiv am Schreibtisch arbeitet.« Wolffs Schreibtischarbeit an Blumenbergs Schreibtisch ist Erinnerungsarbeit an Blumenbergs Mythos. Sie läßt den ›unsichtbaren Philosophen‹ in der Weise sichtbar werden, in der er Uwe Wolff als Lehrer und Freund begegnet ist. Als Dirigent eines Erinnerungskonzertes und durch teilnehmende Beobachtung veranschaulicht Wolff, daß kein Leben singulär ist, daß es immer und überall Zusammenhänge, Beeinflussungen und Interaktionen gibt. And a rock feels no pain / And an island never cries – niemand ist ein Fels, niemand ist eine Insel.
Im FAZ-Fragebogen beantwortete Hans Blumenberg 1982 die Frage nach seiner »Lieblingsgestalt in der Geschichte« mit: »Sokrates, weil man von ihm wenig genug weiß, um sich alles denken zu können«. Blumenberg, der als Lübecker geboren wurde, dachte, schrieb und als Altenberger starb, gab bekanntlich wenig preis, vielleicht damit man sich alles, zumindest einiges denken konnte. Wolff hat mit seinem lesenswerten und nachdenklich stimmenden Erinnerungsbuch dieses Denkenkönnen reduziert; an der Sokrateshaftigkeit eines der produktivsten Gelehrten des 20. Jahrhunderts ändert dies glücklicherweise nur wenig.
Uwe Wolff
Der Schreibtisch des Philosophen. Erinnerungen an Hans Blumenberg
Claudius Verlag, München, 2020
ISBN 978-3-532-62850-8
€ 16,00
Die PDF-Version dieses Textes, die mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat versehen ist, kann hier heruntergeladen werden: Nico Schulte-Ebbert – Erinnerungsarbeit am Mythos [PDF]
Europatour
Als ich in der Silvesternacht 2019/2020 die Zones-App öffnete, um einen Blick auf die Jahresübersicht meiner absolvierten Trainings zu werfen, starrte ich ungläubig auf die Summe der 2019 verzeichneten Kilometer.
Zones
3.282 Kilometer soll ich per pedes zurückgelegt haben? Diese Zahl erschien mir immens, die Strecke in freier Wildbahn noch immenser! Ich öffnete die Karten-App, um mir ein genaueres Bild von dieser Distanz machen zu können. Nach einigen Versuchen hatte ich eine passende Strecke gefunden.
Europa
Führe man mit dem Auto von Lissabon nach Krakau, legte man mit etwa 3.289 Kilometern eine ähnliche Entfernung in einem Tag und sechs Stunden zurück, wie ich es zu Fuß innerhalb eines Jahres getan habe. Erstaunlich!
2019 – Mein Bücherjahr
Am letzten Tag des Jahres werfe ich – wie schon 2012, 2017 und 2018 – einen chronologisch ausgerichteten Blick zurück auf die abwechslungs- und lehrreichen Bücher, die ich in den vergangenen zwölf Monaten lesen und – im privaten Kreise – mitherausgeben konnte:
Die Cover des Jahres (Auswahl)
Benita Eisler. Byron. Der Held im Kostüm. Aus dem Amerikanischen von Maria Mill. Blessing, 1999.
Bernd Brunner. Die Kunst des Liegens. Handbuch der horizontalen Lebensform. 2. Aufl., Galiani, 2013.
Hans Blumenberg alias Axel Colly. »Frühe Feuilletons (1952-1955).« Herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler. Neue Rundschau, Heft 4/2018, 129. Jahrgang. Herausgegeben von Hans Jürgen Balmes, Jörg Bong, Alexander Roesler und Oliver Vogel. S. Fischer, 2018, pp. 5-123.
Achim Landwehr. Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit. Essay zur Geschichtstheorie. S. Fischer, 2016.
Benjamin Balint. Kafkas letzter Prozess. Aus dem Englischen von Anne Emmert. Berenberg, 2019.
Friedrich Hölderlin. 1770-1788. Nürtingen / Denkendorf / Maulbronn. Erste Gedichte. Homer. Luchterhand, 2004. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, herausgegeben von D. E. Sattler. Bremer Ausgabe, Bd. 1.
Friedrich Hölderlin. _1788-1790. Tübingen. Oden und Hymnen. Geschichte der schönen Künste. Salomo und Hesiod._Luchterhand, 2004. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, herausgegeben von D. E. Sattler. Bremer Ausgabe, Bd. 2.
Schreibweise mit NiWo. Band I: Die E-Mails 1999-2004. Ausgewählt, herausgegeben sowie mit 26 Abbildungen versehen von Nico Schulte-Ebbert und Sebastian Diederich. Mit einem Epílogos von Nico Schulte-Ebbert. NiWoPress, 2019. [Privatdruck]
Schreibweise mit NiWo. Band II: Die E-Mails 2005-2009. Ausgewählt, herausgegeben sowie mit 39 Abbildungen und zwei einleitenden Hommagen versehen von Nico Schulte-Ebbert und Wolf Ekkehard Griesenbach. Mit einem Vorwort von Wolf Ekkehard Griesenbach. Mit so einer Art Proëpílogos von Nico Schulte-Ebbert. NiWoPress, 2019. [Privatdruck]
Kirk McElhearn. Take Control of LaunchBar (1.1). Eyes of the World Limited, 2014, epub.
Hans Blumenberg. Lebenszeit und Weltzeit. 3. Aufl., Suhrkamp, 1986.
Marc Aurel. Selbstbetrachtungen. Übertragen und mit einer Einleitung von Wilhelm Capelle. Elfte Aufl., Kröner, 1967.
Peter Neumann. Jena 1800. Die Republik der freien Geister. 3. Aufl., Siedler, 2018.
Jochen Schmidt. Hölderlin in Homburg. Insel, 2007.
George Eliot. Zu Gast in Weimar. Deutsche Übersetzung Nadine Erler. Bertuch, 2019.
Pierre Bertaux. Friedrich Hölderlin. Suhrkamp, 1978.
Uwe Wolff. Der Schreibtisch des Philosophen. Erinnerungen an Hans Blumenberg. [Typoskript; erscheint im März 2020 bei Claudius]
Inge Jens. Am Schreibtisch. Thomas Mann und seine Welt. Rowohlt, 2013.
Von anderen Möpsen
Inge Jens zitiert in ihrer 2013 bei Rowohlt erschienenen Studie Am Schreibtisch. Thomas Mann und seine Welt Ludwig Marcuse, der in seiner Aufzählung der deutschen und österreichischen Exilanten im französischen Sanary-sur-Mer auch die »Sternheim-Tochter Mops« erwähnt. – Mops? Eine schnelle Internet-Recherche förderte zutage, daß Dorothea Sternheim, die 1905 geborene leibliche Tochter Carl und Thea Sternheims, »von ihrer Mutter schon als Kleinkind ›Mopsa‹ genannt [wurde]
(mitunter ›Moiby‹, ›Mops‹ oder ›Mopse‹)«, ein Kosename, den sie auch als Erwachsene beibehielt.
Dies führte mich gedanklich zurück ins mittelfränkische Gunzenhausen, wo ich Ende Mai 2013 in der Buchhandlung am Färberturm, die damals noch Buchhandlung Dr. Schrenk hieß, Ernst Robert Curtius’ epochales Werk Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter gekauft und dort auch zu gut einem Drittel gelesen habe. Im zehnten Kapitel, das mit »Die Ideallandschaft« betitelt ist, zitiert Curtius aus Virgils Eclogae, einem aus zehn Hirtengedichten bestehenden Sammelwerk, das man laut Curtius kennen muß, um Virgil kennen zu können. In V.1 tritt der junge Hirte Mopsus auf: »Cur non, Mopse, boni quoniam convenimus ambo, […]
«, heißt es da, was mit »Mopsus, da wir nun beide vereint und beide geschickt sind, […]
« übersetzt wird.
Mops, Mopsa, Mopse, Mopsus – eine kuriose, geradezu »mopsmäßig[e]
« Reihe!
Inge Jens. Am Schreibtisch. Thomas Mann und seine Welt. Rowohlt, 2013, p. 31.
»Mopsa Sternheim.« Wikipedia. Die freie Enzyklopädie, https://de.wikipedia.org/wiki/Mopsa_Sternheim.
Ernst Robert Curtius. Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 11. Aufl., Francke, 1993, pp. 197-8.
»Schließlich bemerke ich, daß ich mich mopsmäßig auf Weihnachten freue«. Friedrich Nietzsche an Franziska und Elisabeth Nietzsche, Dezember 1862, eKGWB/BVN-1862,339.
Koryphäenhaftes
Beim Sortieren alter Unterlagen flog mir der folgende Flyer in die Hände:
Bernard Comrie in Münster
Erstaunt mußte ich feststellen, daß Bernard Comrie seinen Vortrag in Münster heute vor 15 Jahren gehalten hatte. Tempus fugit! Ich kann mich nur noch schemenhaft daran erinnern. So sind mir Bruchstücke von Clemens-Peter Herbermannseinleitenden (und wie immer mit Augenzwinkern versehenen) Worten im Gedächtnis. Meine während des Vortrags gemachten Notizen, die ich mit einer Büroklammer am Flyer befestigt hatte, vermochten die Lücken der Erinnerung ein wenig zu füllen. So habe ich beispielsweise aufgeschrieben, daß Madegassisch eine austronesische (Barito-)Sprache sei, daß Comrie die Rechtschreibung der Haruai-Sprache erfunden habe, welche im Hochland Papua-Neuguineas gesprochen werde, und daß man aufgrund der nordenglischen Subjektregel auch »The boys is […]
« statt »The boys are […]
« sagen dürfe.
Als ich im Anschluß über den Münsteraner Weihnachtsmarkt schlenderte, waberte aus einer der Buden John Lennons »Imagine« durch die vorweihnachtlich-kitschige Glühweinatmosphäre, wo doch sein »Happy Xmas (War Is Over)« viel besser gepaßt hätte. Ich fragte mich, ob der Vers »Imagine there’s no countries«, mit dem die zweite Strophe beginnt, ein weiteres Beispiel für die von Comrie erwähnte grammatische Besonderheit darstellte.