»Nacktheit ist weniger der endgültige Status der Wahrheit als der vorläufige des Menschen.« (Hans Blumenberg) Neulich in der Buchhandlung Poertgen-Herder in Münster:»Ich suche die nackte Wahrheit.«»Tun wir das nicht alle?«Mehr
Arthur zu Arthur, Staub zu Staub
Ein ungewöhnlich oberflächlicher, am heutigen Montag in der New York Times erschienener Artikel über die Beziehung Arthur Rimbauds zu dessen Heimatstadt, dem heutigen Charleville-Mézières, kann immerhin mit einer schlüpfrig-makaberen Anekdote aufwarten: Bernard Colin, der Friedhofsverwalter des heute etwa 47.000 Einwohner zählenden Hauptortes des französischen Départements Ardennes, berichtet, daß er hin und wieder Paare an Rimbauds…Mehr
Raritäten
Als ich, fasziniert von Historie und Materialreichtum, durch den wunderbar bebilderten Band The Card Catalog der Library of Congress blätterte, fiel mir auf einer der dort abgedruckten Karteikarten auf, daß die Erstausgabe von James Joyces Ulysses (Paris, 1922) auf 1000 Exemplare limitiert gewesen sei und daß hundert davon signiert seien. Ein Text fügt ergänzend unter…Mehr
PPA
Eine Frage, die mich schon seit geraumer Zeit umtrieb, und einhergehend damit ein Phänomen, das mich verwirrte, wurde heute durch einen fundierten Artikel des Sprachwissenschaftlers Helmut Glück in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung behandelt: Ist das Partizip I ein geeignetes oder gar das richtige Mittel, um die Geschlechterdifferenzierung in der Sprache aufzuheben? Glück, Gründungsherausgeber des Metzler…Mehr
Aktenzeichen FK (un-)gelöst. Benjamin Balints »Kafkas letzter Prozess« ist (leider) mehr als eine Gerichtsreportage
Etwas zu besitzen bedeutet, darüber verfügen zu können. Ein Besitz ist das Gut, das jemandem gehört. Doch das, was in Besitz genommen wurde, kann sich zur Besessenheit entwickeln, kann seinen Besitzer selbst besitzen, ihn in Anspruch nehmen, was einst dem Teufel vorbehalten war. Wer besitzt wen, wer hat die Kontrolle in diesem fanatischen Belagerungsspiel? [Weiterlesen…Mehr
URL-Macro
Sie kennen das: Sie schreiben einen Text im Textverarbeitungsprogramm Ihrer Wahl und möchten ein Zitat einer Webseite einfügen, das Sie gerade entdeckt haben. Sie markieren also die entsprechende Passage, kopieren sie, wechseln zurück in Ihr Textverarbeitungsprogramm und fügen sie dort ein. Nun fehlt Ihnen jedoch die Quelle dieses Zitats! Sie müssen also zurück in den…Mehr
Wortschatzerweiterung
Ein Beitrag des Deutschlandfunks erweiterte jüngst meinen Wortschatz: Ich erfahre, daß der von 1973 bis 1997 in Kassel lehrende und 2003 verstorbene Schweizer Soziologe und ›Promenadologe‹ Lucius Burckhardt Anfang der 1970er-Jahre ein experimentelles »Lehrcanapé« an der ETH Zürich eingerichtet hatte. Nun ist ein Lehrstuhl allseits bekannt; er bezeichnet die planmäßige Stelle eines Hochschullehrers, entlehnt vom…Mehr
Blau ist bunt
Farben spielen im Leben der Menschen eine entscheidende Rolle. Allein die Tatsache, daß Farbwörter unter den Sinneswörtern besonders ausgeprägt sind, verdeutlicht die Relevanz dieser optischen Eindrücke, die durch eine traditionell-symbolische Aufladung noch vergrößert wird. Aus einer Rezension erfahre ich, daß die Farbe Blau erst ab dem 17. Jahrhundert als Bezeichnung des Wassers verwendet worden sei.…Mehr
Recht und billig
Nachdem ich am Aschermittwoch den siebten Band der Robert Musil-Gesamtausgabe in der Arnsberger Buchhandlung Sonja Vieth abgeholt hatte, wurde mir schlagartig bewußt, daß ich mit meiner Lektüre im Hintertreffen war. Am folgenden Tag suchte ich mit Band 4, »Fortsetzung aus dem Nachlaß (1937-1942)« des Mann ohne Eigenschaften, den Anschluß wiederzugewinnen. In Kapitel 47, »Wandel unter…Mehr
Im Tränen-Reich
Wenn mir so viele Weisen des Weinens zur Verfügung stehen, so wahrscheinlich deshalb, weil ich mich, wenn ich weine, stets an jemanden wende und der Empfänger meiner Tränen nicht immer derselbe ist: ich passe meine Arten des Weinens dem Typus von Erpressung an, die ich durch meine Tränen auf meine Umgebung auszuüben verstehe. Roland Barthes.…Mehr
Wunschzeugen
Viele erinnern sich noch genau daran, wo sie waren, als Neil Armstrong am 21. Juli 1969 als erster Mensch den Mond betrat, als die Berliner Mauer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 fiel, oder als zwei Verkehrsflugzeuge am 11. September 2001 in die Zwillingstürme des World Trade Center in New York…Mehr
Jacques Derrida, der Thomas Mann der Philosophie
Vor einiger Zeit wurde ich in einem Antiquariat in Münster unfreiwillig Zeuge des folgenden Dialogs: Er: »Schau mal (hält einen Junius-Band hoch): Derrida zur Einführung, das wär’ doch was für Dich!«Sie: »Kenn ich nicht.«Er: »Du kennst Jacques Derrida nicht?«Sie: »Nö. Muß man den kennen?«Er: »Moment! Du willst doch nächstes Semester mit Deiner Bachelorarbeit anfangen, oder?«Sie:…Mehr
Eifersüchtiges Ausweichen
Im Februar 1819 schrieb Adele Schopenhauer ihrem Bruder Arthur einen langen Brief, in dem sie ihm das folgende Versäumnis vorhielt: »In Venedig hast Du Byron nicht gesehen. Das ist mir höchst fatal und unerklärlich; denn wenig Dichter haben mich so angesprochen, wenigere haben mir den Wunsch sie zu sehen gegeben.« Wie kam es zu diesem…Mehr
2018 – Mein Bücherjahr
Am letzten Tag des Jahres werfe ich – wie schon 2012 und 2017 – einen chronologisch ausgerichteten Blick zurück auf die 30 abwechslungs- und lehrreichen (Hör-)Bücher, die ich in den vergangenen zwölf Monaten (wieder-)lesen und hören konnte: Hans Blumenberg. Theorie der Unbegrifflichkeit. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Anselm Haverkamp, Suhrkamp, 2007. [Zweite Lektüre nach 2013.] David…Mehr
Digitale Verfehlung
In einem Interview mit Jan Drees berichtet Alexander Kluge unter anderem von seinem Versuch eines Erstkontakts mit dem US-amerikanischen Schriftsteller Ben Lerner. So seien Geschichten, die Kluge Lerner per E-Mail zugeschickt habe, in dessen Spam-Ordner gelandet, wo Lerner sie acht Wochen später zufällig gefunden habe. »Und so sind wir zusammengekommen«, so Kluge. Die digitale Technik…Mehr
Einlochen
Im Hintergrund-Podacst »Exodus aus Osteuropa« des Deutschlandfunks faßt Frank Hantke von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Pristina den Exodus des medizinischen Fachpersonals aus dem Kosovo mit den folgenden Worten zusammen: »Wenn wir so weitermachen, wenn wir jetzt für ‛nen Mindestlohn die Leute hier wegkaufen, wir und andere, dann bleibt in diesem Land nix mehr. Dann bleibt nicht…Mehr
Eindrücke
Der heutige dritte Adventsmorgen bot sich mir eingehüllt in Schnee und Stille dar. Ich öffnete das Fenster, ließ zusammen mit der Kälte auch einen Hauch Frieden herein und drückte meine rechte Hand in die fragile Schneeschicht auf dem Fensterbrett. Lange starrte ich diesen beinahe kunstvollen Abdruck an, der mir einen Eindruck des wahren Hierseins, des…Mehr
Einem unbekannten Christus
Im Kapitel »Transzendentale Logik der Hermeneutik: Unterstellung von Rationalität« seiner Kritik der verstehenden Vernunft gibt Vittorio Hösle die folgende Anekdote in einer Fußnote zum besten: »Ein Medizinstudent erzählte mir, er habe am Anfang seiner Arbeit in einer Psychiatrischen Klinik einem Patienten, der sich für Christus hielt, erklärt, er könne nicht Christus sein, denn er komme…Mehr
Geschwisterähnlichkeiten
Das Lesen von Briefen, die nicht für einen selbst, geschweige denn für eine breite Öffentlichkeit bestimmt sind, umgibt eine Aura des Verbotenen; man bricht in die Privatsphäre, in Gedanken und Gefühle anderer Menschen ein wie in eine Bank oder ein Haus. Warum sollte man das tun? Warum sollte man das Briefgeheimnis verletzen? Aus purem Voyeurismus?…Mehr
Lebenszeit und Kinozeit oder: Zeitgewinn für Zeitvertreib
Am gestrigen Samstag habe ich mir um 18 Uhr die Roadmovie-Dokumentation Hans Blumenberg. Der unsichtbare Philosoph im Cinema 1 der Münsteraner Kurbelkiste angeschaut. Folgende biographische, philosophische, anekdotische Informationen und Zitate konnte ich mitnehmen: »Philosophie lernt man dadurch, daß man zusieht, wie es gemacht wird. Das ist in vielen anderen Fächern ganz genauso. Deshalb sind Seminare…Mehr
Technologik
Ein Beitrag des Pulitzerpreisträgers Bret Stephens in der New York Times brachte mich dazu, nach mehreren Jahren Platons breit rezipierten Phaidros-Dialog erneut zu lesen, vor allem die Passage, in der Kritik am neuen Medium der Schrift zum Ausdruck gebracht wird. Indem der ägyptische Gott Theuth [Θώθ] unter anderem die Schrift als externen, abstrakten, ja toten…Mehr
Gott ist (nicht) tot
Als Ludwig Wittgenstein nach seiner Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg, seiner Kriegsgefangenschaft in Italien, den Jahren als Volksschullehrer in kleinen, abgelegenen Dörfern Österreichs und seiner Anstellung als Architekt für das Haus seiner Schwester Gretl in der Wiener Kundmanngasse im Januar 1929 nach Cambridge zurückkehrte, berichtete John Maynard Keynes seiner Frau Lydia Lopokova von diesem…Mehr
Sabotage
In seiner aktuellen »Neulich«-Kolumne für die Literaturzeitschrift Volltext gibt der Schriftsteller Andreas Maier folgende Anekdote zum besten: »Neulich schlief mir in der U-Bahn ein Fuß ein, den ich darauf hob und schüttelte. Ein mir gegenübersitzender Mann rief gleich: Spinnst du, hast du keinen Respekt? Ich sagte, mein Fuß sei eingeschlafen, und hob ihn wieder, um…Mehr
Die dritte Kategorie
In einem Beitrag für die New York Times macht Kevin Mims darauf aufmerksam, daß sich in einer (Privat-)Bibliothek nicht nur gelesene und ungelesene Bücher befänden, sondern daß – und diese dritte Kategorie scheint die wirklich wichtige zu sein – dort auch teilweise gelesene Bücher ihren Platz hätten: »The sight of a book you’ve read can…Mehr
Rezensions-Apps-emplar
In den vergangenen Wochen habe ich mich eingehender mit der iOS-App Drafts beschäftigt, was mich mehr und mehr von deren Vielfältigkeit und produktiver Mächtigkeit überzeugt hat. Ich habe mich daher zu folgendem Experiment entschlossen: Ich werde versuchen, die Rezension des mir heute Mittag durch die Redaktion von literaturkritik.de zugestellten Buches Wittgenstein. Eine Familie in Briefen…Mehr