Zivilisationsliterat

Die New York Review of Books druckt einen Essay des 1956 geborenen Politikwissenschaftlers Mark Lilla ab, der in etwas veränderter Form als Einleitung zu der am 18. Mai erschienenen Neuausgabe von Thomas Manns Reflections of a Nonpolitical Man fungiert. Darin heißt es unter anderem: Who, then, is the intellectual proponent of »politics«? Mann calls him…Mehr

Forever young, forever different

Anläßlich des morgigen achtzigsten Geburtstags des Singer-Songwriters und Nobelpreisträgers Bob Dylan (symbolträchtig zu Pfingsten) hat der 1972 geborene Journalist und Schriftsteller Edward Docx im Guardian eine chronologisch sortierte Liste mit achtzig Dylan-Songs aus sechs Jahrzehnten erstellt, die Interessierten Zugang zum musikalischen Werk des Jubilars jenseits seiner bekanntesten Songs – etwa »Mr Tambourine Man«, »Knocking on…Mehr

Was war geschehen?

In der Hudson Review stoße ich auf eine lesenswerte Besprechung Brooke Allens, die sich durch persönliche Erfahrungen der Rezensentin mit der Thematik des zu besprechenden Titels – der grassierenden, immer aggressiver und auch außerhalb universitärer Mauern auftretenden, anti-liberalen und anti-aufklärerischen Social Justice-Ideologie – auszeichnet. Allen berichtet: Nach Abschluß meiner Promotion verließ ich die akademische Welt…Mehr

Zweihundert verweht

Roger Cohen heute in der der New York Times über das Für und Wider der Napoleon-Verehrung: Jacques Chirac konnte ihn nicht ausstehen. Nicolas Sarkozy hielt sich fern. François Hollande mied ihn. Aber zum 200. Todestag von Napoleon Bonaparte in dieser Woche hat sich Emmanuel Macron entschieden, das zu tun, was die meisten jüngeren Präsidenten Frankreichs…Mehr

Inkompetentes Wissen

Der Wissenschaftsjournalist Reto U. Schneider setzt in einer Tour d’horizon der Meinungsbildungsprozesse den abgesagten Tanz in den Mai als angesagte Lektüre in den Mai in Szene. In seinem lesenswerten und lehrreichen Beitrag für die NZZ heißt es unter anderem: Für eine andere Studie bat die Psychologin Rebecca Lawson Versuchspersonen, in der groben Skizze eines Velos…Mehr

April 2021 – Meine Leseliste

[1]Dieter Henrich. »Als Philosoph nach München.« Die Philosophie im Prozeß der Kultur. Suhrkamp, 2006, pp. 142-55. [2]Ethan Millman. »Paul Simon Sells Catalog to Sony Music Publishing.« Rolling Stone, March 31, 2021, https://www.rollingstone.com/pro/news/paul-simon-catalog-sale-sony-music-publishing-1149800/. [3]Rebecca Onion. »A Modern Feminist Classic Changed My Life. Was It Actually Garbage?« Slate, March 30, 2021, https://slate.com/human-interest/2021/03/naomi-wolf-beauty-myth-feminism-conspiracy-theories.html. [4]»Robert-Koch-Institut sieht keine Verzerrung durch…Mehr

Der Spürsinn des Plettenberger Spähers

In seinem Kommentar des kurzen Briefwechsels zwischen dem frisch promovierten Politikwissenschaftler Herfried Münkler und dem 63 Jahre älteren Staatsrechtler Carl Schmitt, der in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Ideengeschichte abgedruckt ist, formuliert der Schmitt-Biograph Reinhard Mehring metaphernvoll: Noch einmal nimmt der alte Scout aus dem Sauerland in den frühen 80er-Jahren Witterung auf – und…Mehr

Dialoge der Aufklärung

In seiner Autobiographie »Ins Denken ziehen« ist der Philosoph Dieter Henrich ganz bei sich selbst »Am Morgen des 26. April 1973«, heißt es in einem kürzlich erschienenen Beitrag von Jared Marcel Pollen in Tablet, einem Online-Magazin für jüdische Nachrichten, Ideen und Kultur, »verfolgten Agenten der tschechoslowakischen Geheimpolizei (StB) in Zivil ›einen unbekannten Mann, etwa 40…Mehr

Intellektuelle Physiognomie

In einer fundierten Kritik an Rüdiger Zills Darstellung des Theologen Hans Blumenberg in seiner Biographie Der absolute Leser gibt Blumenbergs ehemaliger Münsteraner Assistent Heinrich Niehues-Pröbsting zu bedenken: Aufschluss über die geistigen Interessen eines Intellektuellen gibt seine [Blumenbergs] Bibliothek. Sie ist so etwas wie der Abdruck einer intellektuellen Physiognomie. Blumenberg verfügte als Student der Theologie über…Mehr

Laternenpfähle

Tom Jones in einem Kürzestinterview im Guardian: Ich war zwei Jahre lang mit Tuberkulose in Quarantäne. Von 1952 bis 1954, im Alter von 12 bis 14 Jahren, war ich im Krankenhaus oder in meinem Haus eingesperrt. Es gab einen alten Gaslaternenmast am Ende der Straße, den ich von unserem Haus aus dem Fenster sehen konnte,…Mehr

Pu’tliskiej

Daß Übersetzungen nicht nur mit Vorsicht zu genießen, sondern daß bereits die Auswahl ›passender‹ Übersetzer mit höchster Sensibilität vonstatten gehen muß, zeigte jüngst der Trubel um die Übertragung von Amanda Gormans Gedichts »The Hill We Climb«. Nun machte die Plattform Open Culture auf einen Song aufmerksam, der bereits vor zwei Jahren veröffentlicht worden ist und…Mehr

Naturtöne

Mathew Lyons beginnt seine Rezension zweier Neuerscheinungen über die Ursprünge und die Universalität der Musik mit einer beeindruckenden Passage: Der erste Ton, von dem bekannt ist, daß er auf der Erde erklang, war ein E. Er wurde vor etwa 165 Millionen Jahren von einer Katydide (einer Art Grille) erzeugt, die ihre Flügel aneinanderrieb, was Wissenschaftler…Mehr

März 2021 – Meine Leseliste

[1]Jess Keiser. »A brain researcher on what Freud got right.« Rezension zu The Hidden Spring. A Journey to the Source of Consciousness, von Mark Solms. The Washington Post, Feb. 26, 2021, https://www.washingtonpost.com/entertainment/books/a-brain-researcher-on-what-freud-got-right/2021/02/25/42ed23a6-7544-11eb-948d-19472e683521_story.html. [2]Bryan A. Garner. »Pronominal Strife.« Rezension zu What’s Your Pronoun? Beyond He and She, von Dennis Baron. Los Angeles Review of Books, February…Mehr

Ein gnädiger Tod

Julia Amslinger zitiert einen Eintrag aus dem Tagebuch des Romanisten Hans Robert Jauß (1921-1997), in dem dieser ein Telephongespräch mit Ursula Blumenberg notiert, die von den Todesumständen ihres Mannes Hans berichtet: Ostermontag, 8. April [1996]Frau Blumenberg rief mich an, um mir zu sagen, daß ihr Mann am 28. März verstorben sei. Ein gnädiger, seiner würdiger…Mehr

Sprach- und Haarkultur

Joachim Hentschel berichtet heute in der SZ über eine Zoom-Pressekonferenz mit einem Ex-Beatle: »Ich habe das Haus in einem Jahr nur acht Mal verlassen«, sagt Ringo Starr, der seinen Liverpooler Seefahrerakzent noch heute wie eine wertvolle historische Apfelsorte pflegt. »Aber jetzt habe ich meine zwei Spritzen bekommen und könnte sofort mit euch allen abhängen.« Die…Mehr

Strategischer Rückzug

Dieter Henrich berichtet: Ich bin Anfang der 80er Jahre als Herausgeber ausgeschieden. Um die Theorie-Reihe stand es nicht mehr erfreulich. Hans Blumenberg trat schon früher aus, wie er überall irgendwann austrat, etwa aus Poetik und Hermeneutik. Auch Jürgen Habermas zog sich später zurück; ich weiß nicht mehr, aus welchem Grund. Unseld kündigte Taubes. Daß der…Mehr

Safe Space

Nachdem das Buch Orientalism 1978 erschienen und geradezu überschwenglich rezipiert worden war, mußten für seinen Verfasser, den Literaturtheoretiker Edward Said (1935-2003), erhöhte Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden: Saids plötzlicher Weltruhm hatte die unglücklichen Auswirkungen, die Stolz oft mit sich bringt, und weil jeder ein Stück von ihm haben wollte, nutzte er das aus. Seine Schwester Grace beklagte…Mehr

Impfstoff

Das faszinierende Blog Mapologies zeigt in einem Eintrag vom 2. Dezember 2020 eine europäische Sprachkarte zum Thema »Impfstoff«, zu dessen Etymologie es unter anderem heißt: Die meisten Sprachen verwenden ein von (variolae) vaccinae abgeleitetes Wort, einige verwenden jedoch ein eigenes Wort, das in den meisten Fällen »Pfropf« bedeutet. Pfeifers Etymologisches Wörterbuch des Deutschen klärt über…Mehr

Weinschmuggler Gadamer

Die Frage: »Was tat Hans-Georg Gadamer 1968?« beantwortet Dieter Henrich mit den Worten: Um 1968 war Gadamer als Emeritus oft in Amerika. Ich habe ihn 1969 in Washington besucht, als ich im Winter ein Semester lang in Ann Arbor (Michigan) lehrte. Er lebte dort in dem Wohnheim einer katholischen Universität, wo Alkoholverbot herrschte. Er schmuggelte…Mehr

Das falsche Profil

Im Zuge der nur als völlig absurd und daher als völlig zeitgemäß zu bezeichnenden Aufregung um eine angemessene Übersetzung beziehungsweise einen angemessenen Übersetzer des Gedichts »The Hill We Climb« der Lyrikerin Amanda Gorman, das diese bei der Amtseinführung Joe Bidens am 20. Januar medienwirksam vorgetragen hatte, äußerte sich nun der katalanische Übersetzer Victor Obiols, dessen…Mehr

Tweetrausch

Kate Knibbs schreibt in einem Beitrag für Wired: Trevor McFedries, ein in Los Angeles ansässiger Startup-Gründer, kauft seit dem Start von Valuables Tweets. Er schätzte die Art und Weise, wie gezeigt wurde, daß alles, was jemand im Internet macht, Kunst sein kann, und daß sogar ein Tweet als wertvolle kreative Arbeit angesehen werden kann. Kürzlich…Mehr

Verletzte Gefühle

Claudia Mäder macht in einer Rezension in der heutigen NZZ auf einen Artikel Ludwig Marcuses aus dem Jahre 1930 aufmerksam, der von bestechender Aktualität in der global geführten ›Debatte‹ um verletzte (heilige) Gefühle ist: Anlass für den Text war ein Streit um Göttliches gewesen. 1927 hatte der deutsche Maler George Grosz ein Bild veröffentlicht, das…Mehr

WordPress Stories

Am 8. März sprang WordPress auf den Geschichtenzug auf und stellte das neue Feature WordPress Stories vor. Der Gedanke dahinter: Sie können Stories bequem von Ihrem Telefon aus veröffentlichen und haben so mehr Möglichkeiten, Ihre Website frisch zu halten und für Ihr zunehmend mobiles Publikum zu optimieren. Man möchte also weder den Anschluß an die…Mehr

Let It Beep

Der ehemalige Apple-Sounddesigner Jim Reekes erklärt in einem kurzen, melancholisch anmutenden Video die kuriosen und engen Verflechtungen von Computer-Tönen, Beatles, Anwälten und verpaßten Chancen, reich zu werden. Daß der inzwischen standardmäßig zurückgekehrte und ikonische Mac-Startton an den überwältigenden E-Dur-Akkord erinnert, der das Beatles-Meisterwerk »A Day in the Life« beschließt, erscheint vor diesem Hintergrund geradezu versöhnend.Mehr

Auf dem Weg ins Vollidiotentum

Felix Heidenreich heute in der NZZ: Erst die Handwerkszünfte bringen echtes Kunsthandwerk hervor, die wissenschaftlichen Institutionen Exzellenz. Wer etwas gut können will, kann nicht alles können. Aber irgendwann dreht sich das Verhältnis: In der berühmten Stecknadelfabrik findet sich, so [Adam] Smith, womöglich niemand mehr, der in der Lage wäre, allein eine Stecknadel fertigzustellen. Der zerhackte…Mehr